Georg-Schumann-Straße

 

Straße zwischen Kunst und Kapital

Von Daniel Merbitz

Ferne, schwankende Gestalten nähern sich wieder. Sie flüstern etwas von einer Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem bis 1990. Ein gutgemeinter Spuk? Eine trübe Erinnerung an Wortfetzen in der Jugend? Eine ernste These? Ein erfülltes Versprechen? Oder aufgeprallt in der realsozialistischen Wirklichkeit? Ein Erfolg, der heute Plattenbauten den Wohnungsspekulanten in den Weg gestellt hat? Die Fragen verschatten sich, denn neue Riesengeister wollen ihr Gehortetes aus Moderholz und feuchtem Ziegel vergolden. Diese Geister sehen in Wohnraum eine Renditemöglichkeit. Heimat. Sicherheit. Geborgenheit? Fremdworte, die mit der Verwertungskette erdrosselt werden. Andererseits wird eine Straße nicht wohnlicher, wenn Verfall und Desinteresse die Herrschaft behalten. Wer erinnert sich noch an die Vorwendejahre, an die verfaulten Altbauten und die deprimierenden Reko-Wohnungen, wie es damals hieß? Sanierung darf aber nicht zur Verdrängung führen – wird allerorten treuherzig betont. Der Glaube fehlt, von stadt- und sozialpolitischen Instrumenten ganz zu schweigen.

Unheimlich wie sich in den letzten Jahren eine Verdrängungswelle in Bewegung gesetzt hat. Ein Ende ist nicht absehbar. Was in der Südvorstadt begann, sich über Plagwitz und Schleußig fortsetzte, ist auch in anderen Stadtteilen angekommen. Das Unheil der Gentrifizierung. Am Anfang dieses Prozesses steht eine fast vergessene, verdrängte Magistrale: Die Georg-Schumann-Straße. Namensgeber ist ein Kommunist und Widerstandskämpfer gegen den Faschismus. Liebevoll wird diese Stadtader GSS genannt, verniedlichend, kürzer machend, bescheiden. Vielleicht ist es auch eine nüchterne Übertünchung.

Über fünf Kilometer mäandert sie vom nördlichen Zentrum über das südliche Gohlis, Möckern bis ins gefühlte stadtferne Wahren. Ein teurer Supermarkt versucht sein Glück und setzt auf Kaufkraft, auf dem holprigen Fußweg stehen Mülltonnen, wildnishafte Baucontainer mit Schutt und vermoderten Holzbrettern, ein blauer Erotik-Shop, ein rühriges Stadtteilmanagement mit Infotafeln im Schaufenster, eine kleine Bäckerei, wo das Brot noch nach Brot schmeckt, hier und da ein Graffiti, bunt, schrill, ein Protest gegen das düstere Grau. Komisch diese Gefühl von grau. Ist es eine Farbe, ein Gefühlszustand, eine Ahnung? Es ist die Tönung des Alten, immer mehr abgelöst durch die neue Zeit, das neue Lebensgefühl. Noch sieht man junge Menschen mit Kapuzenshirts, ältere mit Rollator, Mütter wuchten Kinderwagen über das Pflaster, Studentinnen essen fröhlich Döner, andere mummeln sich ein, wollen unsichtbar sein. An der Arbeitsagentur und der Rentenversicherung herrscht am Wochenende Totenstille, dafür rumpelt die Bahn umso lauter.

Die GSS wurde mit dem Beschluss der Leipziger Ratsversammlung vom 20. Mai 2009 als prioritärer Handlungsschwerpunkt zum integrierten Stadtentwicklungskonzept Leipzig 2020 definiert. Der Wandel ist auffällig, immer mehr Baugerüste sind in den letzten Jahren gekommen und gegangen. Das Grau der alten Zeit wird überstrichen durch den Schick des Westens. Manch aufgegebene Altbauten werden wieder bewohnbar gemacht. Nur zu welchem Preis? Ein Preis, der zu hoch wird, besonders für die Menschen, die durch die fatale HARTZ-IV-Gesetzgebung an und in den Abgrund gedrängt werden. Bummelt man die Magistrale entlang fällt auf, dass der Hochglanz noch in der Minderheit ist. Die erste spürbare Reanimierung der GSS ist dem Engagement für die Kunst zu verdanken. Unermüdlich haben sich Anwohner, Gewerbetreibende und Künstler, emsig unterstützt durch die Stadtverwaltung, mit der »Nacht der Kunst« seit 2010 einen Namen gemacht in unserer Messestadt Leipzig. Ein Förderverein kümmert sich um dieses Kunstprojekt: »Eine Handvoll Verrückter, die sich in den Kopf gesetzt hat, dass alles anders werden soll, Künstler, die neben Schuhregale Bilder hängen oder den Straßenraum besetzen, Ladenbesitzer, die für eine Nacht ihren Laden ausräumen, Eigentümer, die einem ihre Schlüssel zu leeren Läden überlassen, Hinterhofbewohner, die ihre Tore öffnen, Gehwege, Fassaden, Brachflächen…« Allein letztes Jahr wurden über 7.000 Besucher gezählt. Malerei, Fotografie und Performances beleben eine Nacht lang diese Magistrale, lassen sie pulsieren. Wenn Leipzig ein Klein-Paris sein soll, dann ist die GSS das alte Montmartre, nur für rare Stunden, dafür umso geliebter.

Ein Erfolg, denn die Kunst verbindet, belebt, polarisiert. Sie lockt an. Jung und Alt, Einheimische, Gäste und Investoren. Erst kommen die Künstler und reanimieren einen Stadtraum, dann kommen die Immobilienleute. Erst die Kunst, dann das Kapital.

Georg-Schumann-Straße

Die Georg-Schumann-Straße im Februar 2018. Fotos: Daniel Merbitz

Im Archiv von Leipzigs Neue findet sich in der Ausgabe 4 des Jahres 2010 der Beitrag Zwischen Völkerschlacht und »Grünem Ungeheuer«: Wie lebt es sich in und um Leipzigs Georg-Schumann-Straße? Nachzulesen auf den Seiten 4/5.

Dieser Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im März 2018