Lebendfallen

Lebendfallen Foto: Rolf Arnold/Schauspiel Leipzig

Kein Sinn. Nirgends

Von Daniel Merbitz

Die neue Spielstätte namens »Diskothek« im Leipziger Schauspielhaus hat als eine programmatische Säule die zeitgenössische Dramatik. Die Uraufführung des Stückes »Lebendfallen« von Enis Maci, 1993 in Gelsenkirchen geboren, hat allerdings der Lust auf neues Theater einen gehörigen Dämpfer versetzt. Der Abend spiegelt letztendlich die Krise des jungen, zeitgenössischen Theaters in all ihren Facetten.

Doch der Reihe nach. Ein sperriger, pseudo-intellektueller Text (»Im Anfang war der Urfarn … Herr Kann-Nicht wohnt in der Will-Nicht-Straße … Da fehlt mir der Schwanz … Feinstaubbelastung«) dient als Grundlage für den Abend. Küchenpsychologie statt Charakterzeichnung. Behauptung statt Substanz. Leere statt Relevanz. Da könnte selbst die beste Regie nichts mehr ausrichten, wenn man sie denn hätte. Doch auch hier sind Zweifel angebracht, denn endlos quälende Slapstick-Nummern – Wie trage ich einen leeren Pappkarton, dass es schön schwer aussieht? – zeugen von Hilflosigkeit.

Regisseurin Thirza Bruncken hat es aber auch schwer, denn aus einem toten Text kann kein Leben entstehen. Nach fast zweieinhalb Stunden bleibt nur Rat- und Sprachlosigkeit. Kein Handlungsfaden erkennbar, ein bisschen Tochter-Mutter-Zerwürfnis, irgendetwas von Flucht der Eltern, Angst vor Zollkontrollen, Autounfall? Die Kulisse: Sperrholzbühne, Barhocker, Glasscheiben, Neonröhren, Video-Unsinn. Dazu psychodelischer Sound. Die Zuschauer können durch die Außenscheiben auf den Dittrichring schauen. Und umgekehrt. Zwei junge Männer grölen, pfeifen und winken mit einer Flasche »Sterni«.

Das Misstrauen der Autorin einem Plot und einer handwerklich gut gemachten Erzähltechnik gegenüber steht symptomatisch für eine Schein-Selbstverwirklichungsliteratur unreifer Gedanken. Draußen rattert die Linie »9E« nach Connewitz, pralles Leben, Geschichten, die erzählt werden wollen. Vielleicht wäre die Autorin einfach mal Straßenbahn gefahren. Das Label »jung« ist allein kein Qualitätskriterium. So wie die spätpubertierende Fräulein-Wunder-Selbstbespiegelungs-Literatur in den Markt gedrückt worden ist durch einen Aufsatz von Volker Hage im SPIEGEL im Jahr 1999, so wird jetzt alles auf die jungen Bühnen gebracht, was nach zusammenhängenden Wörtern und Bedeutung aussieht.

Dabei kann Gegenwartsdramatik so fantastisch sein: Elfriede Jelinek und Volker Braun. Auch Christa Wolf, Heiner Müller und Helmut Sakowski dürfen genannt werden, sicher andere Kontexte, aber was für Debatten haben sie ausgelöst – als sie Zeitgenossen waren. Junge Gesellschaftskritik heute? Flucht in Allgemeinplätze und Effekte. Selbst das exzellente Ensemble des Abends kann selbigen nicht retten: Thomas Braungardt, Anna Keil, Jonas Koch, Katharina Schmidt. Herausragend die Leistung von Anna Keil: Von souverän-lasziv, eine Nitribitt, über schmerzverzerrt, somnambul im Fieber bis unterkühlt und verängstigt wie eine Hitchcock-Blondine. Sie zieht alle Register, wie in einer Prüfungssituation. Katharina Schmidt spielt sich respektabel frei, impulsiv zeigt sie eine Seelenschau. So wenig, wie der Leim des Requisiten-Holzstuhls am Uraufführungsabend gehalten hat (aber pfiffig überspielt von Anna Keil), so wenig hält der Abend.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im April 2018