Signet DOK Leipzig

Proteste und Politik vor und auf der Leinwand

Von Michael Zock

Das diesjährige Dokumentarfilmfestival ist vorbei. Wie immer in seiner langen Geschichte gab es auch in diesen Novembertagen ab und an Aufregung und Diskussionen. Eine erinnerte mich an das Jahr 1993, als junge Leute Zuschauern und Journalisten lautstark den Besuch des Dokumentarfilms »Beruf Neonazi« verbieten wollten. Regisseur Winfried Bonengel porträtierte darin den Münchner Neonazi Ewald Althans. Die Protestierer an den Eingangstüren des Festivalkinos »Capitol« behaupteten, der »Dokumentarist wäre seinem Helden auf den Leim« gegangen. Eine fälschliche Annahme, wir konnten den Film anschauen, ohne Zwischenfälle, danach gab es kontroverse, spannende Diskussionen über Politik und die damalige NPD.

Beim Jahrgang 2018 kritisierte nun das Aktionsbündnis »Leipzig nimmt Platz« einen Film bereits im Vorfeld. In »Lord of the Toys« über den Youtuber Max Herzberg werde wiederholt »ein menschenverachtendes Weltbild« deutlich.

Die Netzwerker protestierten gegen die Aufführung. Ja, Filmkunst ist und war streitbar, das wird und soll bitte so bleiben, immer in der unterschiedlichen Sicht der Betrachter: Die Goldene Taube im Deutschen Wettbewerb langer Dokumentar- und Animationsfilm ging an den kontrovers diskutierten »Lord of the Toys« von Pablo Ben Yakov. »Mit seinen präzisen Beobachtungen legt der Film eine Jugendkultur und deren erschreckende Sprache offen, die das Internet bewusst nutzt – mit weitreichenden Folgen in den Alltag«, formulierte die Jury. Ja, nicht nur ich wollte den Film sehen und erst danach ein Urteil bilden. Das war schon 1993 im »Fall Ewald Althans« so.

Längst ist das Festivalkino »Capitol« in der Petersstraße Geschichte und zur Immobile verkommen. Dort begann alles 1955 mit der ersten gesamtdeutschen Dokwoche. Vieles, fast alles, hat sich nunmehr in dieser immer noch brisanten Szene verändert. Neue Kinokomplexe entstanden ... auch auf dem legendären Leipziger Hauptbahnhof. Durch die große Leinwand fällt ’mal auf, wie riesig die Osthalle eigentlich ist. Meist steuern ja die Besucher den Ausgang an, um den Bahnhof schnellstmöglich zu verlassen. Doch in der Festivalwoche galt die Aufmerksamkeit oft der Leinwand auf dem Querbahnsteig. Für viele war dies sicher auch der Moment, in dem sie das erste Mal mit dem berühmten Leipziger Filmfestival in Kontakt kamen – ein gewünschter Effekt der öffentlichen Bahnhofsvorstellungen. Die mitunter unbequeme Atmosphäre, keine Sessel zum Kuscheln und Knutschen, sorgte für intensives Sehen. Das passt zum Dokumentarfilm, die Zwischenrufe der Passanten sorgten für zusätzliche Spannung.

22 Preise wurden vergeben. Der Film »I Had a Dream« hat die Goldene Taube im Internationalen Wettbewerb Langer Dokumentar- und Animationsfilm gewonnen. In der Langzeitstudie über das letzte politische Jahrzehnt Italiens stellt Regisseurin Claudia Tosi mit ihren beiden Protagonistinnen die brutale Frage, ob Demokratie und Politik überhaupt noch am Leben sind.

Dr. Skadi Jennicke, Bürgermeisterin und Beigeordnete für Kultur der Stadt Leipzig, betonte die Rolle von DOK Leipzig als vermittelnde, kulturelle Institution: »Das Festival bietet uns die Chance, in vielen Ländern genauer hinzusehen, deren Gegenwart und Vergangenheit zu erkunden und besser zu verstehen. Diese Einlassung auf komplexe Zusammenhänge und die Suche nach Wahrheiten sind heute wichtiger denn je. Dafür steht das Festival, das längst zu einer kulturellen Instanz der Stadt geworden ist, die international ausstrahlt.«

Der größte Geldgeber von DOK Leipzig ist die Stadt. Durch diese Unterstützung wird nicht nur Kunst und Kultur gefördert, sondern Leipzig als weltoffen und streitbar präsentiert. Auch Sachsen und die Kulturstiftung des Freistaates fördern DOK Leipzig maßgeblich. Zusätzlich zur Festivalförderung weist das Sächsische Ministerium für Wissenschaft und Kunst Mittel für Inklusionsangebote aus. Sie werden mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Landtags beschlossenen Haushaltes. Das ist durchaus erwähnenswert!

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im November 2018