Rüstung nein

Abgehoben

Von Cornelius Luckner

Leipzig 2018 – ein Ruhepol in einer unruhigen Zeit? Schön wär’s. Die größte Stadt in Sachsen hat sich hingebungsvoll um Anerkennung bemüht, die von außen hereinströmt. 600.000 Einwohner sollten in diesem Jahr die zentrale Bestmarke setzen. Eine Formalie? Nur für diejenigen, die Größenklassen als Zugangskriterium zu Fördermitteln ausblenden. Deshalb hielt die Stadtspitze bis weit in den Herbst hinein die Aussicht auf 600.000 Einwohner hoch. Nun wird diese Zahl für das Jahr 2019 angepeilt. Leipzig wächst weiter, aber langsamer. Mehr Hochtechnologie und mehr große Unternehmen wären hoch willkommen.

Viele blicken auf diese Stadt und sparen nicht mit Anerkennung. Das Europäische Kulturerbesiegel, verliehen im Frühsommer an die Leuchttürme der hiesigen Musiktradition, würdigt die Exzellenz in der Leipziger Paradedisziplin. Von Höhepunkten wie dem Bachfest müssen Klassikgenießer in aller Welt nicht erst noch überzeugt werden.

Und das andere Leipziger Aushängeschild, die Messe? Sie kämpft um die Übertragung ihrer Kompetenz aus der analogen in die digitale Welt. Eine Umsatzzahl fand sich in der Jahresabschlussmeldung nicht. Das war höchst ungewöhnlich, auch wenn der Geschäftsführer nachschob, es sei mehr Geld in der Kasse gelandet als 2017. Die Messemacher, wie sie sich gern selbst titulieren, würden ja gern nach den Sternen greifen, doch mit welchem Thema? Über den »Ausbau des Portfolios« wird kräftig philosophiert, in einer stärkeren Wirtschaftsregion als der Leipziger wäre das ein aussichtsreicheres Unterfangen.

Wieder einmal soll sie zur Landung in Leipzig ansetzen, die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung ILA, die bisher im Zwei-Jahres-Rhythmus in Berlin stattfindet. Lohnt sich ein Kampf um diese Veranstaltung? Und passt das Thema nach Leipzig? In der Hauptstadt liegt das ILA-Sonder-Areal der Messe Berlin am Rande des Flughafens BER, von dem manche Beobachter annehmen, dass er irgendwann fertig wird. Dann würde es vielleicht eng für die Luftfahrt-Schau, und die Umzugsgedanken beginnen zu kreisen.

Wirtschaftsliberale Interessenwalter im Leipziger Stadtrat griffen deshalb in diesem Herbst die Umzugsidee auf und drängten das Dreigestirn Flughafen, Messe und Rathaus, sich wacker in die Luftschlacht zu stürzen. Am Flughafen könnten die Beton-Weiten endlich einmal üppig gefüllt werden, und sei es für fünf Tage. Die Messe bekäme wieder ein großes Industrie-Thema, nachdem ihr die Games Convention, die Autoschau AMI, das Thema Polygraphie, die terratec und die enertec allesamt abhanden gekommen sind. Und die Stadt Leipzig als Anteilseignerin der Messe würde ein vermeintlich großes wirtschaftliches Rad drehen. Indes, Oberbürgermeister Jung schwankt zwischen dürfen können und wollen müssen. Zählkandidat wolle Leipzig nicht sein, ließ er sich entlocken, als vor zwei Jahren schon einmal die Idee hochkochte, in das Ansiedlungsrennen um eine künftige ILA zu gehen, die gern in einer Klasse mit Paris Le Bourget und Farnborough in England spielen will.

Nur ist die Luftfahrt-Schau keine jungfräuliche Technik-Parade. Wer regelmäßig die ILA besucht sieht immer mehr Drohnen, immer mehr Bordwaffen, immer mehr Kampfzonentransporter. Militarisierung durchzog den ILA-Jahrgang 2018. In einer von Konflikten zerfurchten Welt ist das ein superkritisches Thema, ganz abgesehen von den Heeren an Sicherheitsleuten, den abweisenden Betonriegeln und den restriktiven Rucksack-Praktiken, die um sich greifen, wo immer heutzutage Menschen zusammenkommen – beson­ders im Umfeld sicherheitsrelevanter Themen. Das wissen Messeveranstalter nur zu gut und packen derlei Themen mit immer spitzeren Fingern an, auch wenn hochkarätige Militärdelegationen ihren Fachbesuchertagen Prominenz verleihen. Eine ILA des heutigen Zuschnitts würde kaum zu Leipzig passen, das sich gerade auf sein Jahr der Demokratie so viel zugute gehalten hat.

Vor einem Vierteljahrhundert fand in Leipzig die Messe-Gastveranstaltung Waggon 93 statt. Für die damalige Messechefin Cornelia Wohlfahrt war es eine »Verlegenheitslösung« rund um das »angestaubte Thema Eisenbahn« in der Entstehungszeit des neuen Messegeländes. Die Veranstalter reagierten mit Entsetzen, zogen nach Berlin und machten daraus die internationale Leitmesse InnoTrans. In Leipzig auf »Kompensation« zu setzen und Berlin ein Messethema abzuluchsen, das dort immer kritischer begleitet wird, liefe auf eine fatale Strategie des »Hauptsache groß« hinaus. Leipzig sollte nicht abheben, diese Stadt braucht keine Messe für Rüstungsgüter.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Dezember 2018