Energiewende-Schild

Ab-Dampf

Von Cornelius Luckner

Von der Aussichtsplattform des Leipziger Flughafens eröffnet sich ein Panorama der Energiewende. Es reicht vom Porsche-Werk über die gebauten Höhenmarken der Stadt Leipzig bis zu den Abdampfschwaden des Kraftwerks Lippendorf. Im Südraum wird aus Braunkohle Strom erzeugt, der nach Süddeutschland fließt, also dorthin, wo zum Beispiel die Firma Porsche entscheidet, dass in deren Leipziger Werk Autos gebaut werden, die ihren Besitzern um alles in der Welt die »Freiheit« geben sollen, mit mehr als 200 Sachen über deutsche Autobahnen zu toben. Die Boliden mit ihren skandalösen Abgaswerten sollen jagen können, so lange sich das Zerrbild des freien Bürgers vor allem aus der zum Wahn gesteigerten freien Fahrt speist. Das Kraftwerk Lippendorf füllt dagegen den Maßnahmeplan für den Kohleausstieg bis spätestens 2038. Die »Preisschilder« der Emissionen, die CO2-Zertifikate (für industrielle Kohlendioxid-Verbreiter), werden an der Leipziger Strombörse gehandelt, äußerlich ebenfalls gut erkennbar von der Panorama-Plattform des Flughafens.

Als gelte es, den gordischen Knoten der hoffnungslos verfitzten deutschen Energiewende mit Leipziger Sendungsbewusstsein zu durchschlagen, wartete Oberbürgermeister Burkhard Jung kürzlich mit einer verblüffenden Idee auf. Ein neues Gaskraftwerk mitten im Leipziger Stadtgebiet soll es richten. Während der studierte Religionslehrer Jung den visionären Energiemanager gab, drang von unten das zum beliebigen Sing-Sang verkommen »Stille Nacht, heilige Nacht« herauf. Denn Weihnachten nahte, ein Hochamt freudiger Botschaften. Vom Leipziger Südraum, der weiterhin von der Kohle lebt, weil bislang noch niemand eine alternative strukturelle Weiche gestellt hat, bis zur Staatskanzlei in Dresden kam der Leipziger Alleingang nicht gut an. Begleitprodukt des Lippendorfer Stroms ist Abdampf. Damit werden Wohnungen günstig beheizt. Entsteht dagegen für schlappe 150 Millionen Euro (woher nur?) ein zusätzliches Gaskraftwerk in Connewitz, kann sich OB Jung keineswegs das erhoffte grüne Superman-Mäntelchen umhängen, denn das Kraftwerk Lippendorf produziert bis zu seinem letzten Atemzug weiterhin Abdampf. Was keine Leipziger Wohnungen heizt, entweicht in die Atmosphäre. Während ein neues Leipziger Gaskraftwerk für zusätzliche Emissionen sorgen würde. Das soll eine saubere Lösung sein?

Es scheint, dass Wahrheit und Redlichkeit die prominentesten Opfer der Energiewende im deutschen Gesamtentwurf und in der konkreten Leipziger Ausformung sind. Was bringt es, das Kraftwerk Lippendorf (Baujahr 1999) als »Dreckschleuder« zu schmähen, während das Leipziger Porsche-Werk (Baujahr 2001), wo die Vehikel heutiger CO2-gesättigter Straßenkämpfe vom Band laufen, von den Gralshütern der Raserei als Inbegriff des Fortschritts angehimmelt wird?

Nach dem Strukturbruch der frühen 1990er mit seinen Zumutungen für die mitteldeutsche Wirtschaftsregion und ihre Arbeitsplätze sollten alle Sinne für maßvollen Fortschritt geschärft sein. Die westdeutschen Steinkohlereviere hatten für den Ausstieg zwischen 1967 und 2018 mehr als 50 Jahre Zeit. Für den ostdeutschen Abschied gelten maximal 19 Jahre. Deshalb: Kein Kohleausstieg mit der Brechstange, sondern in einer ökonomisch und ökologisch ausgewogenen Auslaufkurve. Keine Hysterie wegen CO2-Emissionen aus Kraftwerken bei gleichzeitigem zynischen Feixen über unbemerkte CO2-Wolken beim Durchtreten des Gaspedals. Und bitte keine stichflammenartigen lokalen Sonderwege in Richtung Gaskraftwerk. Zur Erinnerung: Beim letzten Gipfelsturm der internationalen Gaspreise standen die modernen deutschen Gaskraftwerke mangels Rentabilität still. Die Gaspreise werden in Zukunft auch wieder durch die Decke gehen. Vielleicht schon viel eher, als die deutschen Kohlekraftwerke abgeschaltet sind.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Februar 2019