Aus einem Heimatkunde-Heft

Wann ist Heimat schön?
Ist diese Frage falsch?

Von Michael Zock

Die erste Frage wurde für mich als Drittklässler in der DDR vor Jahrzehnten im Musikunterricht so beantwortet: »Die Heimat hat sich schön gemacht und Tau blitzt ihr im Haar …« In diesem damals sehr bekannten Lied gab es rauschende Wälder, blühende Wiesen und Naturgeheimnisse, die wir erkennen sollten.

Das ist lange her und ich beobachte, anno 2019, wird der Begriff Heimat und ihre Schönheiten in Frage gestellt. Auch mit Losungen wie: Solidarität statt Heimat!

Schon das etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache, in Leipzig 1977 erschienen, gibt da Konflikte vor, und begründet das unter anderem mit sprachlicher Verwandtschaft zu Kleinod, Armut, Einöde. Ich lese weiterhin, dass der Begriff Heimweh bereits im 9. Jahrhundert auftaucht und die spätere lateinische Lehnübersetzung nostalgia berührt. Und bevor ich meine dicken Wälzer zuschlage, lese ich darin, wie sich Brecht, Becher, Cervantes, Schiller oder Tucholsky im Zitatenlexikon, 1981 in Leipzig erschienen, über dieses Wort mit sechs Buchstaben »streiten«.

Fazit: Da gibt es offenbar Diversität und Widersprüche.

Um nicht gar zu intellektuell zu werden, schaue ich mal in aktuelle Zeitungen. So fragte im ND beispielsweise der gebürtige Wiener Peter Porsch, auch in Sachsen und Leipzig kein Unbekannter: Muss denn Heimat von Übel sein? Ich zitiere jetzt nicht aus dem langen, nachdenklichen Artikel, sondern möchte nur anmerken, dass eine Woche nach dessen Erscheinen eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Leserbriefen abgedruckt wurde. Drei zitiere ich anonymisiert, die sich nicht direkt auf den Artikel von Peter Porsch beziehen, jedoch auf den Begriff: »Missbrauchen kann man alles. Wer Heimat für faschistisch hält, schüttet das Kind mit dem Bade aus.« / »Heimat ist ein Gebiet, wo man sich wohlfühlt.« / »Das Thema Heimat wird von einigen Linken rechts eingeordnet. Dann mögen die mir doch bitte mal erklären, ob nun in der DDR alle nur Rechte waren oder ob es purer Zufall ist, dass wir in der Schule Heimatkunde als Schulfach hatten.«

Endlich ein Stichwort, um Bücher und Zeitungen wegzulegen, und in einem Schubfach nach einem Schreibheft zu kramen: Ja, ich besitze es noch, mein Jahrzehnte altes Heimatkundeheft. Drei Seiten habe ich mal digitalisiert. Mit Lesebrille oder Lupe sind sie noch lesbar, und ich erinnere mich, wir haben uns in dieser Wochenstunde nie gelangweilt. Leipzigs Straßen, Flüsse, Flugzeuge, Musiker, Dichter und tausend große und kleine Dinge, die uns umgeben kamen zur Sprache.

Das interessierte uns, ich war in der 4. Klasse. An einem Sommertag liefen wir mit der Lehrerin genau einen Quadratkilometer ab, um einen Eindruck von Straßen, Häusern, Wegen, Flüssen, Bäumen und Wiesen und deren Zusammenspiel zu bekommen. Wer jetzt erwidert, die Zeiten haben sich geändert, alles Schnick-Schnack von gestern, heute gibt’s das alles im Netz hat nicht ganz unrecht. Ein »Aber« bleibt jedoch! Ich erlaube mir deshalb sogar noch einen Gedanken von Vorgestern. Meine Familie siedelte, als Folge des Zweiten Weltkriegs, von Schlesien nach Sachsen um. Umsiedler hieß das im Osten, Vertriebene im Westen.

Als Knirps erinnere ich mich, dass bei familiären Zusammenkünften, garniert durch alte Fotografien, Landschaften, Städte und Dörfer, sowie einstige Kindheit und Jugend sehr oft angesprochen wurden. Das gehört und gehörte offenbar auch zum Leben. Menschsein, sage ich mir heute.

Ich erinnere an meine Frage: Wann ist Heimat schön? Meine Mutter äußerte vor Jahren mal: »Jetzt lebe ich schon viel länger in Leipzig als in Breslau, das hier ist meine neue Heimat. Hier bin ich nun zuhause.«

Ihr Sohn musste die Heimatstadt Leipzig nie aus katastrophalen Gründen verlassen, konnte sich seinen Lebensmittelpunkt aussuchen. Schön! Ja, das klingt sentimental, aber so ist das nun mal im Leben. Es besteht nicht nur aus Rationalem, sondern auch aus Emotionalem. Erfahren und erlebt habe ich im Heimatkundeunterricht und durch die Familie, dass sich das durchaus verschieben und verändern kann. Man sollte danach fragen!

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Februar 2019