Personennahverkehr

Gaudi-Tour am Parthestrand

Wer Wahlplakate mit Kommunalbezug registriert hat, fand nicht nur bei der LINKEN, sondern querbeet Nahverkehr, Nahverkehr, Nahverkehr /  Von Cornelius Luckner

Wir hatten die Wahl, am 26. Mai und zwar gleich doppelt – europäisch und kommunal. Doch nicht um die wackligen Perspektiven des ermatteten Kontinents soll es hier gehen und nicht um die Biegezumutungen des Wählerwillens. Zu Flinten-Uschi, einer »Verteidigungs«-Ministerin mit fragwürdiger Leistungsbilanz, wurde bereits genug publiziert. Umstrittene Auslandseinsätze der Bundeswehr, Gewehre, die »out of area« einfach nicht funktionieren, Kostenexplosion eines gerade abgewrack­ten, aber wiedererstehen sollenden Segel-Unikums, Panzer, Jäger und Helikopter, die schweineteuer sind, aber meist nicht einsatzbereit, millionenschwere Beraterverträge für ein angeblich kompetentes Ministerium, das von der Ressortchefin nicht durchschaut wird, kennt jeder. Soviel Fehlschüsse in Berlin müssen wohl geradezu obsessiv mit einem Spitzenposten in Brüssel belohnt werden. Wie war das doch mit der »Idee von Europa«, mit dem Aufbruch, dem Signal an die Jugend? Armes Europa, das auf diesen Typ »Spitzenpolitiker« angewiesen ist.

Blick nach Leipzig: Wer Wahlplakate mit Kommunalbezug registriert hat, fand nicht nur bei der LINKEN, sondern querbeet Nahverkehr, Nahverkehr, Nahverkehr. Das Thema hält die Stadt in Wallung. Aber als müsste die LVB die Wählerinnen und Wähler besonders hinterlistig und dreist verhöhnen, gab sie am Wahlabend um 18.05 Uhr – da waren die Wahlurnen vielleicht noch verschlossen – eine Pressemitteilung heraus, dass ab dem nächsten Tag auf weiteren zwei Linien das Angebot halbiert wird. Fünf Minuten Schamfrist, ehe die Wahrheit aufgetischt wurde. Wenn die Pünktlichkeit der Bahnen und Busse so präzise wäre wie die Taktung von Wahlfinale und Straßenbahn-Offenbarungseid am 26. Mai, könnten die Leipziger sich freuen. Aber sie werden stattdessen mit Wischi-waschi-Formulierungen bedient, die eher vermuten lassen, dass die ausgekämmten Fahrpläne einen Dauerzustand abbilden.

Das wiederum sollte den neuen Stadtrat bewegen. Er wird wie in jedem Jahr darüber abstimmen müssen, ob die LVB ihren Zuschuss von 50 Millionen Euro verdienen. Wie nötig dieser Betrag, ist erkennt jeder am Fahrzeugpark und am Zustand der Gleise vor dem Hauptbahnhof, am Messegelände, am Goerdelerring, in der Käthe-Kollwitz-Straße, am Leuschnerplatz – in weiten Teilen des Netzes eben. Doch zunächst fließt der solide Betrag für einen festgelegten Leistungsumfang ohne Linienkürzungen, Taktstreckungen, abgehängte Beiwagen und andere Zumutungen. Vollumfängliche Leistung – festgelegter Zu­schuss, nur so wird die Entgleisung des letzten marktwirtschaftlichen Anreizes verhindert. Vielleicht wäre eine rollende Stadtratssitzung in einer Straßenbahn der LVB ja hilfreich, um erstaunliche Einsichten zu gewinnen, was den Normalbürger umtreibt.

Doch halt, wir haben da ja noch die Seilbahn. Andere Städte verfügen über diesen schwebenden Beweger doch schon. Folglich braucht das ehrgeizige Leipzig ihn erst recht. Dass anderenorts größere Entfernungen überspannt werden – ge­schenkt. Uns geht es um den unzumutbar scheinenden Zehn-Minuten-Abstand zwischen Bahnhof und Zoo. Dass anderswo breite Ströme gequert werden – egal. Wir peilen die Gaudi-Tour entlang der Parthe an. Und wer – bitteschön – sollte in der Löwenstadt eine Seilbahn betreiben? Doch nicht etwa die LVB?! Da käme alle 20 Minuten eine nicht klimatisierte Kabine vorbeigewankt.

Ehe jetzt der Standard-Vorwurf anhebt, eine kühne Vision würde kleinmütig bereits im Frühstadium zerredet, wo Leipzig doch aber vor allem durch tolle Ideen und Projekte groß und bekannt geworden sei, zum guten Schluss nur soviel: Ja, diese Stadt profitiert von den Plänen und Taten der Altvorderen und dem angehäuften Kapital bis heute. Doch die früheren Entscheider haben die weit nach oben schwebenden Vorhaben immer erst dann angepackt, wenn sie die Probleme am Boden fest im Griff hatten.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Juli 2019