Magie und Poesie

Von Daniel Merbitz

Nach der missglückten »89/90«-Bühnenadaption eines Wenderomans steht der nächste Versuch auf der Bühne des Leipziger Schauspielhauses: »Kruso« nach dem gleichnamigen Roman von Lutz Seiler. Die Geschichte von Ed und Kruso, Teil der Hiddenseer Kellner-Kommune, die aus mental Gestrandeten besteht, ist keine deftige Robinsonade, wie der Titel und die Hauptfigur suggeriert, sondern ein Abbild der späten, trägen, manchmal tragikomischen DDR-Idylle. Der mit Leipziger-Schauspielhaus-Erfahrung (Mitte/Ende der 1990er) versehene Regisseur Armin Petras hat ein Ensemble zusammengestellt wie in den besten Zeiten der Wolfgang-Engel-Ära: Anja Schneider (als Kruso, ungewohnt in einer Hosenrolle, beachtlich und quirlig), Ellen Hellwig (herrlich divenhaft und verschmitzt als Monika), Andreas Keller (überzeugend als dreist-komischer Koch) und Berndt Stübner (brillant als knorriger und ob des Absturzes aus Republikpalastglamour hadernder Ferienheimleiter). Der versierte Theatermacher Armin Petras versteht es, szenische Lesung und endlose Monologe zu umschiffen. Stattdessen gibt es einen maßvoll eingesetzten Chor und agile Schauspieler, Drama statt Epik. Düster-sakrale Momente, poetische Stille und wollüstiger Ferienheimtanz in Einsamkeit und Ferne: hier halten Magie und Poesie Händchen. Eingerahmt von durchsichtigen Seilen, die von der Bühnendecke herabhängen, geht die dreistündige Reise durch Wald, Meer und Nebel (Bühnenbild: Olaf Altmann). Melancholisch changierend, labyrinthisch wie das Leben: Ein wunderbarer Theaterabend ohne bösen Blick zurück.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im November 2016