Mehr Kohl kann man sich nicht vorstellen

Von Wulf Skaun

Der Mantel der Geschichte hat sich für immer über Helmut Kohl gelegt. Freunde und ziemlich beste Freunde haben ihm letzte Worte nachgerufen. De mortuis nil nisi bene. Auch das Spitzenpersonal der Linken hat den Klassiker des Chilon von Sparta, dass man von Toten nur Gutes reden soll, recht artig beherzigt. Gregor Gysi war sogar »ein bisschen traurig«.

Doch hat der Verblichene wirklich bloß Gutes geleistet, über das gut geredet wurde? Auf politischem Feld als »Einheitskanzler« und als Kanzel-Verkünder des Europamottos »In varietate concordia« (»In Vielfalt geeint«) etwa? Ist nicht auch »Supergutes«, also Bestes, überliefert, das seine geistig-moralische Wende noch geistig-kulturell überstrahlte? Das den »schwarzen Riesen« auch zum Geistesriesen erhob?

Aber ja doch: seine unvergleichlich originären Redensarten! Diese Poesievergessenheit auszubügeln, sollen hier dem großartigen Helmut zum Gedächtnis wenigstens Kostproben seiner Formulierungskunst ein letztes Mal ins öffentliche Gedächtnis gerufen werden. Wer Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit hegt, kann bei Klaus Staeck nachschlagen, der Kohls geistige und rhetorische Höhenflüge in einem bereits edelmetallisch betitelten Büchlein im Steidl Verlag Göttingen versammelt hat: »Goldene Worte von Kanzler Kohl«.

Da findet sich im Rückblick auf seine Schulzeit ein Selbstlob, das die Nachwelt sich erlaubte, nicht so ganz ernst zu nehmen: »Ich war in Hölderlin gut. Außer mir hat keiner diese Passion gehabt, auch kein Lehrer.« Dass sich der Musterschüler von seinem feinsinnigen literarischen Idol für die eigene verbale Artikulation ungemein Poetisches anverwandelt hat, lassen Best-of-Beispiele aus dem »Spruchbeutel Kohl« erkennen: Ich bin der eigentliche Kohlkönig. Mehr Kohl kann man sich nicht vorstellen (1984). Was nützt die beste Sozialpolitik, wenn die Kosaken kommen (1975)? Mein Problem ist, daß mein Geschmack und mein Appetit in umgekehrtem Verhältnis zu meiner Vernunft stehen (1986). Ich weiß zwar nicht, was er denkt, aber ich denke ähnlich (1985). Die CDU bin ich (1984). In einer deutschen Familie hat man fürs Gröbste die Oma, und ich bin die Oma der Bundesrepublik (1989). Ich lasse mich nicht als Tanzbär vorführen (1986). Man muss spät ins Bett gehen und früh aufstehen, wenn man den Sozialismus besiegen will (1976). Ich denke nicht, daß die Fragen der Geschichte atemlos sind (1989). Der Zug der deutschen Einheit fährt jetzt durch den Bahnhof der Geschichte (1990). Und auf der Lok ein Frühaufsteher, der fast zu spät aufgesprungen ist.

R.I.P.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Juli 2017