Daniel Libeskind

Daniel Libeskind in Berlin beim Museum für Architekturzeichnung und Architekturforum Aedes.Foto: Daniel Merbitz

Libeskind, Hadid & Co.

Von Daniel Merbitz

Es ist schon einzigartig, welche Kompetenz in Fragen der Architektur sich auf einem ehemaligen Brauereiareal im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg so versammelt hat. Da ist zum einen das privat finanzierte Museum für Architekturzeichnung von Sergei Tchoban und zum anderen das gleichfalls auf Privatinitiative entstandene Aedes-Architekturforum.

Ersteres – das Museum – ist ein schmaler, eleganter, kubistisch anmutender, mit stark vergrößerten Fragmenten architektonischer Skizzen verzierter, schmaler Bau (2013), angeschmiegt an ein bestehendes Gründerzeithaus. Mit holzvertäfelter Bibliothek, Ausstellungsräumen und einem wunderbaren kleinen Ruheort mit Sitzbank, Tisch und Ausstellungskatalogen garniert mit einem bezaubernden Blick auf das sich stets wandelnde und agile Berlin.

Der in Leningrad, so hieß es in fernen Zeiten noch, geborene Sergei Tchoban ist gefeierter Architekt, vom Jüdischen Kulturzentrum nebst Synagoge in Berlin (2007) bis hin zur Zentrale der Bank Sankt Petersburg (2011) und ist zugleich ein Doyen der Architekturzeichnung. Seiner Sammelleidenschaft hat er mit dem eigens errichteten Museum einen permanenten Ort und den vielen hochkarätigen Wechselausstellungen eine Heimstatt auf Zeit gegeben.

So auch der aktuellen Schau mit Zeichnungen und Entwürfen unter anderem von Daniel Libeskind und der irakisch-britischen, 2016 im Alter von 65 Jahren verstorbenen Zaha Hadid: »Gezeichnete Welten. Alvin Boyarsky und die Architectural Association«.

Zaha Hadid, der weibliche Stern am Architekturhimmel leuchtet heute noch mit dem Rosenthal Center for Contemporary Arts in Cincinnati (2003), dem Zentralgebäude im BMW-Werk Leipzig (2004) und den futuristen Bahnhöfen für die Innsbrucker Hungerburgbahn (2008).

Zweiteres – das Forum – ebenfalls eine Oase, ein kleines Café, draußen ein paar Tische und Stühle, vor dem Eingang zwei Holzfässer mit blühenden Hortensien, drinnen ein modernes Ausstellungsareal mit High-Tech-Konferenzraum. Das Aedes-Architekturforum wurde 1980 in Westberlin von Kristin Feireiss und Helga Retzer als erste private Architekturgalerie Europas gegründet und ist heute ein internationaler Begegnungsort für alle Architekturinteressierten, von den Studierenden bis zu vielen Stararchitekten.

Und genau dieser genius loci ist die Bühne an einem heißen Julisommertag für eine brillante Auseinandersetzung mit der Frage, wie das Verhältnis zwischen gezeichneter und gebauter Architektur auszutarieren ist. Ist die Architekturzeichnung in die Welt der Kunst zu verorten oder ist sie nur ein profanes Arbeitsmittel, ein Arbeitsschritt.

Zwischen diesen Positionen mäandert die Debatte und man sieht einen aufgeräumten und aufgeweckten Daniel Libeskind, einen unterhaltsamen New Yorker, seine Argumente in die Wogen werfen. Der 1946 in Polen geborene und seit 1960 in den USA lebende Stararchitekt, mit einem Berliner Intermezzo von 1989 bis 2003, hat niemals dran geglaubt, dass eine Zeichnung ein Gebäude repräsentiert. Er sieht die Zeichnung als eigenständiges Kunstwerk und verweist auf zwei Bände voller Entwürfe, die er angefertigt hat. Lächelnd bemerkte er, dass er Ausstellungen hatte, bevor ein Haus gebaut wurde.

Er ist von der Zeichnung, von der Architekturtheorie kommend erst spät zum Praktiker geworden ist, hat 1987 sich erstmals an einem Bauwettbewerb beteiligt und gleich einen ersten Preis gewonnen. Sein erstes Architekturbüro eröffnete er 1989 im wilden Berlin. Aber so fulminant, als ob sich das Erfolgsmagma aufgestaut und nun wie ein Vulkan ausgebrochen ist.

Der Akt des Zeichnens – »niemand könne sagen, woher die Zeichnung kommt« – ist etwas Geheimnisvolles, wenn man Daniel Libeskind genau zuhört. Es ist etwas Mystisches, meint der weltberühmte Architekt, der sich mit dem Jüdischen Museum (1999) in Berlin und dem Contemporary Jewish Museum (2008) in San Francisco einen Namen gemacht hat. In Sachsen kennt man vor allem seinen genial-radikalen, verstörend-nachdenklichen Eingriff in den Hauptbau des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr (2011) in Dresden.

Daniel Libeskind spricht enthusiastisch von dem »Wunder der Zeichnung« und geht bis auf Bernini und Michelangelo zurück. Es ist der Geist, der »Spirit«, der mit der Architekturzeichnung verbunden sei. Alles komme von der Grafik und er habe seine letzten Gebäude sämtlich mit der Hand entworfen. Erst der Stift, dann der Computer – so könnte man zusammenfassen. »Das ist die Freiheit: Nimm einen Stift und Papier oder eine Mauer.« Und er wird existenziell: »Die Zeichnung ist auch die Chance zum Scheitern.« Und beinahe still: »Zeichnung ist Poesie.« Hier kreuzt sich das Wort mit dem Zeichenstift.

Er beschreibt die Magie der Zeichnung als »Poesie der Imagination.« Sätze, die wie Monolithe in die Diskussionslandschaft gesetzt sind. Prägend, apodiktisch und herausfordernd zugleich, mit einem narrativen Talent vorgetragen. Gute Zeiten seien immer die, wo er Zeichnen konnte – und doch ist er immer bodenständig geblieben in seiner Sicht der Dinge, in die Einsichten der Notwendigkeiten.

Daniel Libeskind bricht es für die Jugend herunter: »Du kannst Arbeiten im Büro und wirst bezahlt oder du zeichnest.« Und als Tipp für die Studierenden gibt er mit auf den Lebensweg: »Du brauchst ein paar Bücher und musst reisen!« Er, der im Zwiegespräch ruhige und sehr höfliche Feingeist, hat seine Quellen in der Musik.

Als ich unsere Zeitung und mich kurz vorstellte, sprudelte bei meinem Wort »Leipzig« seine Leidenschaft für die Musik und für Johann Sebastian Bach aus ihm heraus: Er sei öfters in Leipzig, auch zum Bach-Fest. Seine Zeichnungen seien wie Musik, stelle ich fest, er nickt: »Thats it!« Schließlich sei er ausgebildeter Musiker. Vielleicht ist die Erklärung des Zaubers der Architekturzeichnung in diesem einen Satz von Daniel Libeskind gegossen: »Ich kann es nicht erklären.«

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Oktober 2017