Cover »Geschichte des Radsports in der DDR«

DDR-Geschichte?

Von Ralf Fiebelkorn

Seit 1989 wird viel über die Geschichte der DDR geschrieben. Sogar Dissertationen wurden verfasst. Eine davon von Anneke-Susan Hackenbroich nennt sich »Geschichte des Radsports in der DDR«. In acht Kapiteln versucht die Autorin die Instrumentalisierung des Radsports durch die Politik in den Jahren 1950 bis 1989 darzustellen. Ihre Erkenntnisse gewinnt sie aus Aktenmaterial des Deutschen Radsport-Verbandes der DDR, des Ministeriums für Staatssicherheit und Gesprächen mit ehemaligen Radsportlern. Ob die Erinnerungen der Sportler der Wahrheit entsprechen, versucht sie mit Hilfe der eingesehenen MfS-Akten einzuzordnen.

Eine Rezension des Historischen Instituts der Universität Paderborn zu dieser Arbeit formuliert: »Ein gewissenhafteres Lektorat des Kohlhammer Verlags wäre wünschenswert gewesen … Schwerer wiegt, dass die vorliegende Forschungsarbeit ihrem Titel ›Geschichte des Radsports in der DDR‹ nicht gerecht wird. Der Titel suggeriert eine umfassende Analyse des Radsports, doch es wird schnell deutlich, dass zahlreiche Aspekte nicht oder nur am Rande betrachtet werden.«

Dem kann ich mich nur anschließen. Ein Beispiel. Ich zitiere: »Im Jahre 1950 wurde die Teilnehmerzahl auf sechs Fahrer pro Land beschränkt. Die Friedensfahrt hatte eine Länge von 200-220 km, die in zwölf Etappen oder dreizehn Etappen ausgetragen wurde.« (Seite 38) Im Jahr 1950 hatte die Friedensfahrt eine Gesamtlänge von 1.539 km und die neun Etappen hatten eine Länge zwischen 143 und 218 km. Eine Friedensfahrtmannschaft bestand 1950 erstmals aus sechs Teilnehmern, in den Jahren 1948 und 1949 war die Mannschaftsstärke nur fünf Teilnehmer gewesen. Eine Beschränkung von fünf auf sechs Teilnehmer ist für den Rezensenten nicht nachvollziehbar. Diese Informationen und alle anderen Fakten zur Friedensfahrt und ihrer Geschichte hätte die Doktorandin im Radsportmuseum »Course de la Paix« erfahren können, wenn sie danach gefragt hätte. Laut Danksagung (Seite 7) »Erwähnen möchte ich auch Horst Schäfer vom Friedensfahrtmuseum in Kleinmühlingen, der mir durch lebhafte Erzählungen die Begeisterung für die Friedensfahrt nähergebracht hat und mir den Zugang zu den studentischen Arbeiten über den DDR-Radsport ermöglichte«, hat sie ja das Museum besucht.

In einem in den 80er Jahren in der DDR erschienenen Handbuch zur Geschichte fand ich folgenden Satz: »Geschichte ist immer die Geschichte der jeweils herrschenden Klasse.« Hätte vor 1989 ein Doktorand so eine Arbeit über die bundesdeutsche Geschichte des Radsports an einer Hochschule oder Universität in der DDR abgeliefert, bin ich sicher, er hätte dafür keinen Doktortitel erhalten.

Anneke-Susan Hackenbroich. Geschichte des Radsports in der DDR. Kohlhammer Verlag Stuttgart 2016. 290 Seiten. 54,00 EURO. ISBN 978-3-17-029214-7.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Dezember 2017