Installation Sighard Gille

Sighard Gille »Auswildern«, 1991 Foto: Daniel Merbitz

Von Lichthof zu Lichthof

Von Lavinia Hudson

1989, ein Jahr, welches die Welt vieler Menschen auf den Kopf stellte.

Montagsdemonstrationen, »Wir sind das Volk«–Rufe, der Eiserne Vorhang öffnet sich. Das Lambada-Fieber bricht aus. Der berühmte Satz von Günter Schabowski »Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.«

Dieses Jahr ließ Betriebe und Lebensbiographien vieler Menschen in der DDR zu neuen Ufern aufbrechen oder kentern. Die Stürme der sogenannten Sozialen Marktwirtschaft. Ein Neubeginn in eine ungewisse Zukunft, in ein ungewisses Leben. Nur der Stärkste kann Überleben, die anderen bleiben zurück, abgehängt.

Erstmalig und bisher einmalig sind im Jahr 1991 im Lichthof der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) 13 Figuren von Sighard Gille mit dem sehr bezeichnenden Titel »Auswildern« gezeigt worden.

Jetzt sind diese endlich wieder im Museum der bildenden Künste (MdbK) zu sehen, zu bestaunen, zu bewundern. Bestehend aus Holz, Draht und vor allem Pappmaché sind diese lebensgroßen, an Tauen kletternden Figuren jetzt im Lichthof des MdbK zu betrachten.

Die Idee des Künstlers war es, die verrückte Zeit der Wende genauer in den Fokus zu nehmen. 40 Jahre DDR, 40 Jahre in einem Land gefangen zu sein, ohne über die Grenzen hinaus blicken zu können, die Verhaltens-, Moral- und Lebensweisen wurden durch den Staat vorgegeben.

Sighard Gille in einem Notat zu seiner Installation: »Dieses Land zu verlassen wurde mit Gefängnis bestraft!!! Daher drängte sich die Parallele des Auswildern bei Tieren auf, die in Gefangenschaft aufgezogen und später in die Wildnis entlassen werden, wo sie sich in Freiheit entfalten sollen und können.«

Das allgemein verbindliche »WIR« des Staates verschwand nach dem Mauerfall. »Das Denken und Handeln im Kollektiv war vorbei, jetzt hieß es vom Wir zum Ich. Meine Figuren an den Seilen sind symbolisch gemeint für das Besinnen auf die eigenen Kräfte… Ehrgeizige, schnelle und schlaue Typen finden sich gut zurecht, sind im oberen Bereich zu sehen, anderen fällt es schwerer, wieder andere werden abgehängt, noch andere wollen nicht, ziehen sich zurück oder verpuppen sich.«

Der Schwerpunkt dieser Installation liegt also auf der Betrachtung der Menschen in einem neuen Gesellschaftssystem, in einem System, in dem der Mensch alleine den Alltag, das Überleben und die Existenzbewältigung bewerkstelligen muss. Aber wie auch bei Sighard Gille üblich, ist der Witz, der Humor und der leise Spott, aber auch der Esprit der unterschiedlichen Körper und Bewegungen der Figuren zu beachten.

Eine Installation, die wirklich sehenswert ist, zum Verweilen einlädt, um die Gedanken in eine schon lange zurück liegende Vergangenheit eintauchen zu lassen. Vielleicht hat der eine oder die andere auch Assoziationen zu anderen Skulpturen, Denkmälern oder Gemälden.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im April 2018