Marx

Marx wird 200

Von V. Külow

So viel Marx wie heute gab es noch nie. Spätestens seit der Finanzkrise ab 2007 verbreitet der globalisierte Kapitalismus der Gegenwart Angst und Schrecken. Und noch immer liefert der bärtige Meisterdenker aus Trier stringente Erklärungen für jene gesellschaftlichen Mechanismen, die auch im 21. Jahrhundert zu einem großen Teil unser Schicksal bestimmen.

Fasziniert und fundamental-kritisch zugleich, analysierte Marx vor allem in seinem ökonomischen Hauptwerk »Das Kapital« als Erster die alle Grenzen überschreitende, tendenziell alles durchdringende und globale Dynamik des Kapitalismus als systemimmanent. Dazu zählt im Zeitalter von Artensterben und Klimawandel (»Kapitalozän«) auch das angespannte, vom Profitstreben geprägte Verhältnis zwischen Mensch und Natur, das immer mehr zur Zerstörung der letzteren führt.

Aber auch andere Teile des Marx’schen Werkes erleben eine wahre Renaissance. Seine Analyse des zeitgenössischen Bonapartismus hilft beispielsweise, den massiven Aufstieg des Rechtspopulismus in den letzten Jahren zu enträtseln. Was man von Marx gerade in der berühmten Schrift »Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte« aus dem Jahr 1852 lernen kann, ist ein Politikverständnis, das weniger auf parlamentarische Konstellationen und Mitregieren schielt, sondern sowohl auf einer genauen, Widersprüche und Veränderungen mitdenkenden Analyse der realen Klassenkräfte und -verhältnisse als auch auf der Einbeziehung von Sitten, Gebräuchen und Denkstrukturen verschiedener Milieus und Volksklassen basiert: »Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden.«

Es ist kein Zufall, dass im Vorfeld des 200. Marx-Geburtstages am 5. Mai 2018 eine Vielzahl neuer Literatur, darunter mehrere voluminöse Biografien, erschienen ist. Darüber hinaus kommen wir mit jedem Band der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) – bisher sind 66 von 114 geplanten Bänden erschienen – dem großen theoretischen Erbe ein Stück näher. Es lohnt sich, wieder etwas genauer auf dieses Werk zu schauen, das weniger ein Steinbruch – sondern richtig gelesen – immer noch ein Sprengsatz ist.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Mai 2018