HGB-Rektor Thomas Lochner

Thomas LocherFoto: Erich Malter / HGB

Figürlichkeit auf Relevanz befragen

Thomas Locher, Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB), im LNS-Interview.

 

Die Leipziger Kunsthochschule hat eine Reihe wichtiger Rektoren erlebt. Ich verweise skizzenhaft auf Adam Friedrich Oeser, Bernhard Heisig und Werner Tübke. Welchen Ihrer Vorgänger im Amte finden Sie als Künstler am spannendsten?

Adam Friedrich Oeser war der erste Rektor der Hochschule und hat vor mehr als 250 Jahren diese durch die enge Verbindung von künstlerischer Praxis und Theorie und Wissen wesentlich geprägt. Johann Wolfgang von Goethe und Johann Joachim Winckelmann waren seine bedeutenden Studierenden. Adam Friedrich Oeser gestaltete für das Leipziger Handwerk Vorlagen, die in Schmiedearbeiten umgesetzt wurden. Gleich zu Beginn der Hochschule wurde somit ihre DNA gesetzt, die immer noch da ist und die wir immer noch beschwören, dies heißt einen hohen Anspruch in der künstlerischen Arbeit formulieren, gleichgültig im welchem Medium und in welchen Formen gearbeitet wird. Und das verbunden mit einer tiefen theoretischen Durchdringung. Und wenn möglich, einer gewissen Nähe zu gestalterischen Disziplinen.

Wie wichtig ist Ihnen die figürliche Malerei, die seit 1947 prägend für die HGB in der Außenwahrnehmung geworden ist?

Bernhard Heisig und Werner Tübke stehen für die intensive Hinwendung zur Figur und für einen daraus entstandenen Realismus in der Malerei. Besonders Bernhard Heisig hat die Gespenster seiner Kriegserfahrungen künstlerisch verarbeitet. Beide Künstler standen in einem Verhältnis zur französischen Historienmalerei des 19. Jahrhunderts, wobei mich besonders die »kritischen« Vertreter, wie Gericault, Delacroix, Courbet und Manet, dieser Epoche und dieses Genres interessieren, denn sie haben die Moderne vorbestimmt. Bernhard Heisig und Werner Tübke taten das ihre mit einer sehr deutschen Variante, die ich nicht unproblematisch finde und die zu einem ganz spezifischen »sozialistischen Realismus« führte, denn man wollte sich von den sowjetischen Vorbildern absetzen. Im malerischen Geschichtsbild wird ja der Repräsentationsbegriff bearbeitet, der, wenn die Malerei lediglich figürlich ist, eigentlich aus dem Bild verschwindet. Das Figürliche ist zwar eine künstlerische Form; sie muss sich jedoch mit einem Inhalt verbinden; sonst bleibt sie leer. Außerdem stelle ich fest, dass die Traditionen des Historienbildes sich in andere Medien hineinbegeben haben, wie wir das an Beispielen im Fotografischen, im Kinematografischen und Medialen sehen können. Was tun wir nun? Als Hochschule pflegen wir die Tradition des Figürlichen und müssen sie gleichzeitig auf ihre Relevanz befragen.

Noch eine kleine aber spitze Frage. Ist die sogenannte »Neue Leipziger Schule« für Sie ein überstrapaziertes Etikett oder ein marktkonformer Etikettenschwindel?

Begriffe sind für die Künstlerinnen und Künstler, die in einer Schule oder Bewegung zusammengefasst werden, immer problematisch, weil sie die Feinheiten der individuellen Positionen nicht abbilden. Allerdings ist die »Neue Leipziger Schule« auch ein kraftvolles Leipziger Netzwerk, das wirtschaftlich funktioniert. Für die Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig stellt sich nicht die Frage … wie und ob wir die »allerneueste Leipziger Schule« produzieren können, sondern eher, wie wir überhaupt die Malerei weiterentwickeln wollen und können. Das betrifft allerdings auch alle anderen Disziplinen unserer Hochschule, die gelehrt werden. Es dürfen sich durchaus unterschiedliche künstlerische Formen herauskristallisieren, es sind die Lehrenden und Studierenden an der HGB, die diese Entscheidungen treffen. Die kann im Übrigen figürlich sein oder auch nicht. Es ist nicht die Aufgabe des Rektors das zu verordnen. Die kommende Malerei an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig wird sich aus der künstlerischen Praxis heraus, aus den Debatten und Auseinandersetzungen der Lehrenden und der Studierenden entwickeln und ich bin sicher, sie werden dazu die notwendigen Fragen stellen.

LNS: Vielen Dank und viel Erfolg für Ihre Amtszeit und die HGB!

Interview: Daniel Merbitz

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Juni 2018