Ulrich Hachulla im Juni 2018 Foto: Daniel Merbitz
Spätheimkehrer nach Italien
Ulrich Hachulla im LNS-Interview
Waren Sie überrascht von den Diskussionen, die Ihr nüchtern-sachliches, pathosfreies Gemälde »Junges Paar in der Straßenbahn« Anfang der 1970er Jahre ausgelöst hat, welches heute als Ikone der damaligen Zeit gilt?
Eigentlich schon. Es hat etwas mit Anknüpfungspunkten zu tun. Als Kind hatte ich bei einem Hallenser Maler, der bei Max Liebermann studiert hatte, Unterricht. Er war in den letzten Kriegstagen ausgebombt, die verbliebenen Reste seines Ateliers und der Wohnung waren nunmehr auf engsten Raum konzentriert. Es war eine Wunderwelt für mich: Berge von Büchern, Kunstgegenstände, ein Nofretete-Abguss, Art-déco-Möbel, viele Fachzeitschriften aus dem Jugendstil und den 1920er Jahren, und so wurde ich schon früh mit Künstlern wie Carlo Mense, Karl Hofer, natürlich Otto Dix und anderen vertraut gemacht. Sie spielten eine große Rolle als Anregung und weckten mein allgemeines Interesse an der Kunst der 1920er Jahre, die sich wiederum auch auf die Kunst der Renaissance bezog. Erstaunlich, dass das Bild mit dem »Jungen Paar in der Straßenbahn« überhaupt in der Kunstausstellung 1972/73 in Dresden zu sehen war. Es war eine Zeit, Ende der 1960er Jahre, da hat man noch junge Männer mit langen Haaren als »Gammler« bezeichnet. Es gehörte zu meiner Arbeitsweise, mit Studienkollegen oder allein, Leute auf der Straße oder in einem Café, zum Beispiel im Café Central, anzusprechen und zu fragen, ob sie einmal für eine Portraitzeichnung Modell sitzen würden. So auch bei den beiden. Ich erinnere mich, in einer Gaststätte das junge Paar angesprochen zu haben. Wir sind dann noch mit der Straßenbahn zum Bahnhof gefahren. Zu einem späteren Zeitpunkt saßen sie mir dann für eine erste Zeichnung Modell. Es war dabei nicht klar, ob einmal ein Bild daraus werden wird. Es war Werner Tübke der öfter gesagt hat: »Hauptsache erst einmal Beobachtungen notieren, einheimsen, denken sie nicht zu früh über Kunst nach«.
Vorbildfunktion der alten Meister, klassische Bildsprache, Abbildhaftigkeit, Allgemeinverständlichkeit und Parteilichkeit gelten als Attribute des Sozialistischen Realismus. Welchen Wert hat heute für Sie der Sozialistische Realismus?
Den Begriff habe ich schon früh nicht so sehr gemocht. Vielleicht hängt dies mit einer Ausstellung in der Hallenser Moritzburg zusammen, die ich um 1953 gesehen habe. All die vertrauten Bilder von Beckmann, Feininger, Hofer und vieler weiterer Künstler, mussten für eine Zeit weichen; für eine Ausstellung sowjetischer Künstler und Künstlerkollektive, die offenbar Vorbildcharakter haben sollte, und – salopp ausgedrückt – hätte heißen können »So wird es gemacht!« Es waren sowjetische Künstlerkollektive und Künstler, die verdienstvolle Wissenschaftler oder Bestarbeiter auf roten Plüschsofas in teilweise riesigen Formaten dargestellt hatten: erhaben und auch ein wenig furchteinflößend. Es war eine erste Begegnung von Dingen und Begriffen, die später noch häufiger kommen sollten. Das früh gebildete distanzierte Verhältnis zu didaktischen Vorgaben und ideologischem Regelwerk für Kunst, und speziell bildender Kunst blieb. Allerdings hat es meiner Vorliebe für Gegenständlichkeit und Figur in der Bildwelt keinen Abbruch getan.
Würden Sie Friedrich Wolf Recht geben mit seiner These »Kunst ist Waffe«?
Kann Waffe sein, sicher in den Händen derer, die sie als solche gebrauchen wollen. Mit »Waffe« ist es immer so eine Sache. Wenn ich diese Frage gestellt bekommen hätte als junger Mensch, dann hätte ich offensiv geantwortet »ja«. Man muss aber auch bedenken, was eine Waffe, im übertragenen Sinn, alles anrichten kann. Wie gesagt, als junger Mensch durchaus »ja«, jetzt sage ich: Sie könnte eine Waffe sein. Bin mir aber nicht so sicher, ob es die beste Art und Weise ist, sich der Kunst so zu nähern. Es ist eine Frage der Dosierung. Ein Bild sollte nach meinem Dafürhalten ein paar Saiten zum Klingen bringen können, gerade auch bei inhaltlichen Vorgaben und Vorhaben.
Wie erklären Sie sich, dass auch noch in der Gegenwart die DDR-Kunst polarisiert, wie zuletzt beim sogenannten Dresdner Bilderstreit?
Man ist oft schnell fertig. Es wird eine Schublade aufgemacht, ach, dies ist »DDR-Kunst«. Schon allein dieser Begriff stellt eine grobe Vereinfachung dar. Man denkt weniger über die Person nach, über die einschränkenden oder auch fordernden Dinge damals. Man ist schnell fertig damit. Der Begriff ist Gleichmacherei und sagt, alles ist gleichermaßen eingeengt und verfangen zu sehen, und das stimmt nicht. Ich fände es schon einen guten Schritt weiter, wenn man von Kunst spricht, die in der DDR entstanden ist, oder von Künstlern, die in der DDR gelebt und gearbeitet haben. Der gern benutzte Begriff »DDR-Kunst« dient für mich eher der Versiegelung einer Voreingenommenheit.
Haben Sie, wie viele andere Künstler der DDR, mit der Wende 1989/90 eine Zäsur in Ihrem Schaffen erlebt?
Ganz ohne Zäsur geht es nicht. Ich habe schon vor dem Studium, aber insbesondere während des Studiums durch für mich wichtige Lehrer wie Tübke und Heisig ein besonderes Verhältnis zu älterer Kunst, zum Beispiel den italienischen Meistern entwickeln können, die Kunst in Büchern studiert und einen Teil der Faszination erahnen können, die von ihnen ausgehen mag. Oder über das helle Licht in Tunesien gelesen, wie es manches Gesamtwerk eines Künstlers beeinflusst hat. Gut, dann ist es halt so, das mit den Büchern und dem Annähern durch Lesen. Aber gleich nach der Wende bin ich nach Italien gereist, um »alles« nachzuholen. Wenn ich damals zehn Jahre älter gewesen wäre, ich weiß es nicht, wie dann mein »Nachholen« ausgefallen wäre … So aber konnte ich bislang wenigstens einen Teil meines Bücherwissens gegen »Originalerfahrung« auswechseln. Ich bin also so eine Art »Spätheimkehrer« nach Italien.
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute!
Interview: Daniel Merbitz
Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Juli 2018