Disko im Schauspielhaus

»Disko« im Schauspielhaus: Daniela Keckeis, Roman Kanonik, Anne Cathrin Buhtz, Julia Berke, Thomas Braungardt, Anna Keil (v.l.n.r). Fotos: Rolf Arnold/Schauspiel Leipzig

Disko und Diskussion

Von Daniel Merbitz

Die »Diskothek«, seit November 2017 die neue Bühne im Leipziger Schauspielhaus für die zeitgenössische Dramatik, zeigt als Uraufführung ein Auftragswerk, speziell für diese Spielstätte geschrieben: »Disko« von Wolfram Höll, 1986 in Leipzig geboren, Autor und Hörspielregisseur, lebt in der Schweiz. Seine beiden Uraufführungen am Schauspiel Leipzig »Und dann« (2013) sowie »Drei sind wir« (2016) wurden mit dem Mühlheimer Dramatikerpreis und 2015 auch mit dem Dramatikerpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet. Allein das Textbuch, abgedruckt in der Februarausgabe von »Theater heute« (die alte West-Theaterzeitschriftsdame; im Osten lebt die »Theater der Zeit« fort; für die Intendanten gibt es die lesenswerte »Die deutsche Bühne«) verspricht Bewegung: Statt Fließtext eine Art Tabellenkalkulation, idealerweise als »Partitur« lesbar, acht Spalten mit den Akteuren: Single, Helferin, Besorgter Bürger, Neona, Türsteher, 1. Flüchtling, Momo, Frau. Dann stehen in den Spalten Silben und Wörter, zum Beispiel: »Tack, Tack, Tack« und »la la la«, »dadada, dada« und »tschick, tschick« und dann die Satz-Versatzstücke. Alles gekonnt miteinander verschraubt. Was sich jedoch nur abstrakt lesen lässt, wird auf der Bühne zu einem rhythmischen Sprechgesang, unterlegt mit exklusiver Elektro-House-Musik des Komponisten Jan-S. Beyer. Eine Gruppe, offenbar Geflüchtete, darunter Momo und eine Dame im Glitzer-Disco-Queen-Look, will hinein, drinnen wird schon getanzt. Doch wie im richtigen Diskoleben, wie am P 1 in München, muss Frau und Mann am Türsteher vorbei. Der Leipziger Anti-Charon, ein Dandy, weißer Anzug, schwarzes Hemd, weiße Lackschuhe, führt ein strenges Regime: »Stehst du nicht auf der Liste heißt das: Verpiss dich.« Ein Anti-Charon deshalb: er bewacht den Weg, der vom Totenreich ins Reich des Lebens, der Freude, des Feierns führt. Die Drinnen haben Angst vor denen da Draußen. Nach der Arbeit möchte man Feiern, ungestört und sorgenfrei. Doch die Geflüchteten kommen hinein. Eine Integrationsleistung. Der besorgte Bürger kommt zu Wort, irgendwann erzählt ein Geflüchteter von Kriegsleid und Träumen. Hier prallen Welten aufeinander, Hochglanzparty trifft Geopolitik. Doch es irritiert, dass die Figur der Flüchtlingshelferin so negativ gezeichnet wird: Sie scheint sich nur oberflächlich für das von Momo aus Syrien geschilderte Leid zu interessieren: »Wart mal kurz, das ist ja völlig einschläfernd so, viel zu trocken, leg doch etwas Funkiges drunter.« Flüchtlingshilfe als Selbstverwirklichung?

Dann werden die Leipziger Rufe »Wir sind das Volk« von 1989 und die wortgleichen realen Chemnitzer Rufe von 2018 in den Raum gestellt. Die Zeichnung der Helferin-Figur und die Rufe-Gleichsetzung: Beides verwirrt durch die Kommentarlosigkeit. Hier wäre mehr offensive Haltung wünschenswert, gerade in einem Jahr, wo die sächsischen Landtagswahlergebniswege in einem braunen Morast enden könnten. Sonst ist das Stück eben nur ein mit Formen experimentierendes Hipster-Stück mit Politik als beliebige Zutat zum Zwecke der Bedeutungsaufladung.

Wir haben es bei »Disko« mit einer musikalischen Performance oder einer musikalischen Bühnenskulptur zu tun. Formal sicher anspruchsvoll, aufrüttelnde Gegenwartsdramatik ist es nicht. Doch diese ist im deutschsprachigen Raum leider rar, zum Glück gibt es Elfriede Jelinek. Ivan Panteleev, Regisseur der Uraufführung, versucht nahe am Text, am Sprechgesang zu bleiben. Solide und präzise wird der Abend abgespult. Eine Leistung, Text und Rhythmus übereinander zu bringen. Die Worte werden passend zu den Beats zerlegt und neu zusammengesetzt. Disko eben. Doch was innovativ daherkommt, ermüdet bereits nach einer Viertelstunde. Eine weitere Stunde geht es so beatmäßig sperrig weiter. Nebenbei: Auch über eine bequemere Bestuhlung könnte in dieser Spielstätte nachgedacht werden. Anspruchsvoll ist Stück und Inszenierung für das Ensemble. Hervorzuheben das schauspielerische Duell zwischen Anna Keil und Daniela Keckeis. Als Geflüchtete im Glitzer-Hosenanzug mit blonder Lockenperücke tanzt und fährt Anna Keil auf dem Hometrainer-Fahrrad zur Hochform auf, herrlich affektiert, immer die zehn Prozent überdreht, die sie zur Diva machen. Anna Keil, 1984 in Bad Waldsee geboren, studierte zunächst an der Akademie der Künste in Ulm und schließlich an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Daniela Keckeis als Besorgter Bürger mit roter Zipfelmütze, Sinnbild für das Gartenzwergspießertum, spielt gegen dieses Feuerwerk an, respektabel und anerkennenswert. Eine vorzügliche Spielfreude, ausdrucksstark und beflissen, ohne überanstrengt zu wirken. Die 1981 in Vorarlberg geborene Daniela Keckeis studierte am Max Reinhardt Seminar in Wien, wo sie auch mit Klaus Maria Brandauer arbeitete. Julia Berke spielt die rothaarige Geflüchtete, gelungen mit einer Mischung aus Herbheit und Sprödigkeit. Andreas Herrmann als Türsteher: stark und streng als Großmeister des Vergnügungsabends und zugleich Wächter des Tanzreiches. Auch Anne Cathrin Buhtz und Roman Kanonik, Thomas Braungardt überzeugen: solide und hochkonzentriert.

Das Bühnenbild von Yanjun Hu ist reduziert, eine Tür trennt die kahlen Welten. Auf der Tanzfläche stehen Laufbänder und Räder aus dem Fitnessstudio. Rennen und Tanzen. Eine Pförtnertür für den Türsteher. Stimmig. Obwohl am Schluss Daft Punk, Justice, Kylie Minogue und anderen gedankt wird, könnte ein Dank auch an Falco gehen, denn gefühlt erinnert der Rhythmus des Abends an den Song »Ganz Wien« aus dem Diskojahr 1979. Nach dem Uraufführungsapplaus stieg die Aftershowparty, standesgemäß in der Diskothek mit der »Boiband« (mit »i«) bestehend aus dem Songwriter und Sänger Hans Unstern, Performance-Künstler Tucké Royale und dem Rapper und Produzenten Black Cracker. Im Foyer wird diskutiert: Nicht das Schlechteste nach einem Theaterabend. Disko und Diskussion: tschick, tschick. Schick.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im März 2019

Disko im Schauspielhaus

Anne Cathrin Buhtz und Roman Kanonik