Von Berlin nach Leipzig

Von Nora Pester

Als ich als Verlegerin des seit über 30 Jahren in Berlin ansässigen Hentrich & Hentrich Verlags für jüdische Kultur und Zeitgeschichte meine Entscheidung, mit diesem in meine Heimatstadt Leipzig zu ziehen, im letzten Sommer öffentlich machte, war die Resonanz überwältigend groß, sowohl persönlich als auch medial. Sie reichte von freudiger Überraschung, Zustimmung und Ermutigung bis zu Trauer und Empörung über eine Entwicklung, die viele kleine und mittlere Firmen dazu treibt, ihre angestammten Standorte zu verlassen, weil ihre Mietverträge enden und die neuen Konditionen für sie schlichtweg nicht mehr leistbar sind.

Trotz des großen Verständnisses für diesen Schritt und der Anerkennung Leipzigs als traditionsreicher Buch-, Kultur- und Messestadt, lag zwischen den Zeilen immer auch etwas Skepsis oder zumindest Neugier, ob und wie ein jüdischer Verlag in Sachsen aufgenommen werden würde. Wir gingen in die Offensive und schickten gleich in den ersten Tagen nach unserer Ankunft unseren deutsch-israelisch-persischen Autor Arye Sharuz Shalicar mit seinem Buch »Der neu-deutsche Antisemit« auf Lesereise durch Sachsen. Eine seiner Stationen: Das von den kurz zuvor stattgefundenen Unruhen und der damit verbundenen medialen Aufmerksamkeit noch immer sehr angespannte und verunsicherte Chemnitz. Das Interesse an unserem Autor und die ihm entgegen gebrachte Offenheit lösten jedoch alle Zweifel auf, was sicherlich auch daran lag, dass er vor dem Hintergrund seiner eigenen Lebensgeschichte stets Tacheles redete und seine Zuhörer ernst nahm. Trotzdem wurde die Auseinandersetzung mit Antisemitismus rechter, linker, arabischer oder christlicher Prägung zu einem Dauerthema von bisher unbekanntem Ausmaß und Aktualität in unserer Verlagsarbeit. Aus unserer Position zwischen Berlin, Leipzig und dem übrigen Sachsen, zwischen innerjüdischer und gesamtgesellschaftlicher Perspektive werde ich jüdisches Leben, dessen Entwicklung und Bedrohung auch im Rahmen der Leipziger Buchmesse wieder intensiv diskutieren.

Auf der Leipziger Buchmesse wird in einer weiteren gemeinsamen Veranstaltung mit DIE LINKE die Journalistin und Buchautorin Anja Schindler mit ihrem Buch »Die drei Leben des Meir Schwartz« das außergewöhnliche Leben ihres Vaters vorstellen, der dem Holocaust entkam und Gulag-Häftling wurde. Anja Schindler selbst wuchs im Verbannungsort ihrer Eltern in Karaganda, Kasachstan, auf. Ihre Mutter war das Kind Berliner Antifaschisten, die in der Sowjetunion als Emigranten lebten und 1937 Opfer des Großen Terrors wurden. Sie wurde 1941 zur »feindlichen Ausländerin« erklärt, verhaftet und nach Kasachstan verbannt. Ihr Vater, rumänischer Jude, floh 1940 vor den Horthy-Faschisten in die Sowjetunion, wurde wegen illegalen Grenzübertritts zu Lagerhaft in Workuta verurteilt, war bis 1947 Häftling und wurde anschließend ebenfalls verbannt. 1956 konnte die Familie in die Heimatstadt der Mutter ausreisen: nach Ostberlin, in die DDR. In Leipzig studierte Anja Schindler Germanistik und Geschichte. Sie ist Mitglied des Arbeitskreises »Sowjetexil« und hat zahlreiche Publikationen und Ausstellungen zu deutschen Kommunisten im sowjetischen Exil, Lebensbildern jüdischer Verfolgter und Überlebender und jüdischer Regionalgeschichte verfasst bzw. kuratiert.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im März 2019

Nora Pester

Nora Pester, geboren 1977 in Leipzig. Studium der Hispanistik, Politikwissenschaften und Volkswirtschaftslehre in Leipzig und Wien, Promotion in Politikwissenschaften. Tätigkeit u.a. beim Passagen Verlag, Wien, im Museumsquartier Wien (ZOOM Kindermuseum) und bei Matthes & Seitz, Berlin. Seit 2010 Inhaberin und Verlegerin des Hentrich & Hentrich Verlags. Fotos © Hentrich & Hentrich

 

Buchumschlag

 

Verlagsveranstaltungen zur Leipziger Buchmesse unter www.hentrichhentrich.de

Hentrich & Hentrich gemeinsam mit Leipzigs Neue Seiten, DIE LINKE.Leipzig und weiteren Kooperationspartnern:
Donnerstag, 21. März 2019, 18.00 Uhr:
Anja Schindler »Die drei Leben des Meir Schwartz. Das Schicksal meines Vaters«, Gaststätte »Goldene Höhe«, Virchowstraße 90 A, 04157 Leipzig. Eine Veranstaltung des Stadtbezirksverbandes Nordost DIE LINKE
Samstag, 23. März 2019, 15.00 Uhr
Jüdisches Leben in Deutschland - zwischen Aufbruch und Antisemitismus. Gespräch mit der Verlegerin Nora Pester, Moderation Marianne Küng-Vildebrand, BürgerInnenbüro Nordstern, Georg-Schumann-Straße 171, 04159 Leipzig. Eine Veranstaltung von BürgerInnenbüro Nordstern (MdL Cornelia Falken und MdB Sören Pellmann) und VVN-BdA Leipzig e.V.