OBM Burkhard Jung

Foto: G. Eiltzer

Ach, Burkhard

Von Cornelius Luckner

»Die Ereignisse überschlagen sich«, verkündete jüngst Oberbürgermeister Jung im aufgesetzt wirkenden Gute-Laune-Modus. Gemeint war das Tempo rund um die Kommission für Strukturwandel und Beschäftigung in den Braunkohleregionen, die deshalb in typischer Verkürzung auch nur Braunkohlekommission heißt. Empfehlungen im Januar, Absegnung durch die Bundesregierung und Beschluss des Bundestages im April 2019 – das ist, gemessen an anderen, dringenden Themen, fürwahr ein Höllentempo. Nahende Wahlkämpfe lassen grüßen.

Spürbar ist, wie deutlich alle heutigen Entscheidungsträger verstanden haben, dass die zweite Etappe des ostdeutschen Strukturwandels gelingen muss. Noch so ein kaltschnäuziger Vollzug des ökonomisch von oben Dekretierten wie zu Beginn der 1990er – und besonders der deutsche Osten würde wohl endgültig in das Stadium der Unkalkulierbarkeit abrutschen. Eine solche Horrorvision schreckt die Mächtigen, die diesmal mit 40 öffentlichen Euro-Milliarden lindern wollen, was vor 30 Jahren unter sturem, uneinsichtigem Verweis auf die Wunder der Marktkräfte gründlich misslang.

Derart zum Einreichen von Wunschlisten animierte Politiker lassen sich kein zweites Mal bitten. Und weil sich die Ereignisse angeblich überschlagen, hat die Verwaltung im Neuen Rathaus ihr Wunschkonzert selber komponiert. Den eingereichten Prioritäten von der Mittelstandsförderung über die Digitalfakultät und die Studie für den zweiten City-Tunnel bis zur Großsporthalle – so sie denn allesamt genehmigt werden – muss der Stadtrat im Nachgang zustimmen.

Kein Zweifel, mit Kohlekommissionsgeld aus Berlin, gefiltert in Dresden, bekäme Leipzig eine große Chance, den wirtschaftlichen Wandel vor Ort und im Umland glimpflich zu bewältigen und die weitere Entwicklung voranzutreiben. Von 40 Milliarden Euro insgesamt für alle verbliebenen Braunkohleregionen sollen 3,2 Milliarden nach Sachsen fließen, worauf Leipzig seine eigenen Maximalvorstellungen gleich auf 2,3 Milliarden addiert hat. Ja, das ist viel Geld, aber eben aufgeteilt auf fast zwei Dekaden. Was 2038 angesichts der Geldentwertung noch von dem zu kriegen ist, wo 2019 auf das Etikett 40 Milliarden notiert wurden, steht in den Sternen.

Und damit bekommt ein großes Bundesthema ein kleines lokalpolitisches Karo. Ein Oberbürgermeister sollte doch unbedingt erkennen lassen, wie wichtig ihm die Umsetzung und nicht nur die Zusammenstellung der Wunschliste für die weitere Stadtentwicklung ist. Anders Burkhard Jung. Mai 2018: Tschüss Leipzig, Sparkassenposten lockt. Oktober 2018: Sparkassenposten vergeigt, nur deshalb weiter Leipziger Oberbürgermeister zu sein, ist ja auch nicht schlecht. März 2019: Oberbürgermeister in Leipzig nach 2020? Weiß ich nicht. Überlege ich mir im Sommer.

Ist das seriös? Im Kern geht es um die Stadtratswahl im Mai. Burkhard Jung steht nicht zur Wahl, aber am 26. Mai entscheidet sich, welche unter Umständen schwierigen Bündnisse sich das Stadtoberhaupt immer wieder suchen muss, um souverän regieren zu können. Das wird wahrscheinlich nicht einfach, da hilft nicht mal ein warmer Millionenregen aus Braunkohle-Strukturmitteln. Im Grunde hilft nur eine starke Linke, an der ein erkennbar sprunghafter Chef der Verwaltungsspitze in wichtigen Fragen nicht vorbeikommt. Eben eine starke, strategisch orientierte Fraktion, die städtische Fragen zu erden weiß. Wohin entwickeln sich die Mieten? Wie geht es weiter mit dem Schulhausbau? Wie bewältigt die Stadt ihre sozialen Herausforderungen – vom Niedriglohnsektor bis zur Altersarmut? Das Kommissionsgeld hilft, aber in Leipzig drängen zunächst die alltäglichen Probleme, wofür diese Mittel gar nicht verwandt werden dürfen. Hat Oberbürgermeister Jung noch die Kraft und den Willen, sich nicht nur den Schönwetterthemen zu widmen? Darüber entscheiden die Leipzigerinnen und Leipziger am 26. Mai, indem sie ihr Votum für einen starken Stadtrat abgeben. Leipzig braucht klare Verhältnisse. Wankelmut an der Verwaltungsspitze passt nicht zu dieser stolzen Bürgerstadt.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im April 2019