
Yoko Ono, »Ex It«, 1997/2019, MdbK, © Yoko Ono, Foto: Alexander Schmidt/PUNCTUM/MdbK
War is over …
Von Daniel Merbitz
… if you want it! Der Krieg ist vorbei … wenn du es willst. Mit dieser Kampagne gegen den Vietnam-Krieg, nach dem berühmten Bettgespräch in Amsterdam, haben Yoko Ono und John Lennon 1969 die Welt aufgerüttelt. Ein halbes Jahrhundert später, Welten und Ereignisse und Systeme später, darf man die Kunst von Yoko Ono in Leipzig im Museum der bildenden Künste selbst erkunden. Und entdecken. Individuell. Man sollte zuerst die hölzernen Treppen im holzvertäfelten Treppenhaus hinaufsteigen, wenn es Gesundheit und Kraft zulassen, um in die dritte Etage zu gelangen. Atemlos, herzklopfend sieht man die ersten Orangenbäume, dann auch Zitronen, Oliven, Vogelgezwitscher rundherum. Idylle. Idylle? Nein, der zweite oder erst auch der dritte Blick lässt Holzkisten, Särge, erkennen aus denen diese Bäumchen wachsen. »Ex It« aus dem Jahr 1997/2019 ist eine Arbeit, die aus 100 Särgen für Männer, Frauen und Kinder besteht, schlicht, so wie auf den Schlachtfeldern und bei Naturkatastrophen heute verwendet werden. Große und kleine Särge nebeneinander, manchmal stehen sie allein, stehen für den einsamen Tod. Und doch die Hoffnung, die Sehnsucht nach Auferstehung, der Vogelgesang, eine Metapher für das Leben. Szenenwechsel. 118 mit Wasser gefüllte Flaschen: »We are all Water« (2006/2019). Diese Installation verweist auf ihren Text »Water Talk« von 1967 und auch auf ihr Lied »We Are All Water« von 1972.
Wir bestehen aus Wasser. Alle Menschen. Um dies zu versinnbildlichen stehen auf den Flaschen ausgewählte Namen von Dichtern, Politikern, Künstlern, Musikern, Philosophen und Massenmördern. Zu finden sind unter anderem: Hemingway, Hendrix, Hitler, Hesse.
Yoko Ono, die Witwe von John Lennon, wurde 1933 in Tokyo geboren, studierte Philosophie in Japan und ging 1953 nach New York und war dort Teil der Avantgarde-Bewegung. 1960 zeigte sie eine Serie von radikalen Performances und erste konzeptionelle Arbeiten.
Performative Kunst, Installationen, Konzeptkunst, Filme, Musik – dies ist Yoko Onos Kosmos. Sie gilt als Wegbereiterin der Fluxus-Bewegung.
Der voluminöse Museumsbau auf dem ehemaligen Sachsenplatz scheint der ideale Ort für die Installationen von Yoko Ono zu sein: Hohe Decken, große, lichte Räume. Die Werke sind wie geschaffen für die besondere Architektur des Hauses. Dieses Hohe Haus lädt das Volk zur Kunst. Vier Ebenen werden bespielt, die Lichthöfe, das Café, das Foyer und draußen an den Bäumen darf man Wünsche loswerden, aufschreiben und anheften.
Mitmachen ausdrücklich erwünscht. Yoko Ono setzt auf Partizipation. Dabei formuliert sie Anweisungen, Spielregeln, Ideen. Die Besucher bekommen ein kleines Heftchen ausgehändigt »Instructions/ Handlungsanweisungen«. Vom Wunschbaum, über Nägel in ein Holzkreuz schlagen, Porzellanscherben zusammen kleben, in Bücher hineinschreiben, eine einsame, freistehende Wendeltreppe erklimmen (Achtung: sehr wacklige Angelegenheit!), mit Farbe Sprüche schreiben, Zettel an eine Wand heften bis hin zum Stempeln »Imagine Peace«. Und ein schwarzer Raum, wo man nichts sieht, stockduster, hier kann man seine Selbstkontrolle prüfen oder den Kontrollverlust erleben, Vertrauen und Misstrauen spüren oder auch irgendwann vor dem geistigen Auge Yoko Ono sehen, so wie einige Leipziger sie am 3. April zur Ausstellungseröffnung in der Innenstadt gesehen haben wollen. Haben wollen und nicht haben, denn Yoko Ono konnte krankheitsbedingt nicht anreisen. Die Hoffnung, endlich einmal die John-Lennon-Witwe live zu sehen, hat tausende Fans angelockt und vielleicht auch ein bisschen die Ausstellung angeheizt. Noch zwei Wochen vorher hieß es offiziell: »Yoko Ono plant an der Eröffnung teilzunehmen, bittet jedoch um Verständnis, dass sie für Interviews nicht zur Verfügung steht.«
Sie muss aber nicht persönlich da sein, denn sie ist durch ihre Kunst anwesend. Keine Beatles-Ausstellung und auch kein Hochamt für John Lennon, sondern Yoko Ono. Hilfreich sind die Beigaben für die Besucher, neben der erwähnten Handlungsanleitung gibt es noch einen Flyer, der alles von der Konzeptkunst bis zur Performance erklärt. Figürlichkeit und Verständlichkeit darf man nicht erwarten. Manches wirkt zu konstruiert und zu kopflastig, nur aus den Titeln erklärbar, manches befremdlich, vielleicht auch banal, aber nie ohne Haltung. Kein sozialistischer Realismus, eher kapitalistischer Pessimismus. Aber überall ist Parteilichkeit zu spüren. Für den Frieden, für die gute Sache, für den Menschen. Yoko Ono macht mit ihrer Kunst auch heute noch Mut sich einzumischen. Denn auch heute verdient der militärisch-industrielle Komplex am Krieg. Aber es gilt auch immer noch: »War is over … if you want it!«
“YOKO ONO. PEACE is POWER” bis 7. Juli 2019, Museum der bildenden Künste Leipzig, Katharinenstr. 10: Di. u. Do.–So. 10–18 Uhr, Mi. 12–20 Uhr, Feiertage 10–18 Uhr, am ersten Mittwoch im Monat freier Eintritt
Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Juni 2019

Yoko OnoFoto: Greg Kadel/MdbK