Im Städel Museum

Ausstellungsansicht im Städel Museum Frankfurt am Main »Geheimnis der Materie. Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff«Fotos: Städel Museum

IErnst Ludwig Kirchner: »Spazierengehendes Paar«

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), »Spazierengehendes Paar«, 1907, Farbholzschnitt von zwei Stöcken auf Vergépapier, 280 × 215 mm (Druckstock), Städel Museum, Frankfurt am Main
 

Ernst Ludwig Kirchner: »Kämpfe«

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), »Kämpfe (Qualen der Liebe)«, aus der Holzschnittfolge Peter Schlemihl nach Adelbert von Chamisso, 1915, Farbholzschnitt von zwei, teils zersägten Stöcken auf Löschpapier, 336 × 214 mm (Druckstock), Städel Museum, Frankfurt am Main

Neue Lust am Holzschnitt

Von Lavinia Hudson

Wieder eine neue Brücke-Ausstellung, könnte man denken, wo liegt denn das Besondere? Schon wieder Holzschnitte? Bereits 1905 zeigten die »Brücke«-Künstler in Leipzig eine Auswahl ihrer Holzschnitte in einer Grafikausstellung und ließen sie ab 1906 durch acht weitere deutsche Städte reisen. Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff strebten nach künstlerischer Erneuerung, nach mehr Authentizität und Unmittelbarkeit. Zur am 7. Juni 1905 gegründeten Dresdner Künstlergemeinschaft »Brücke« gehörten: Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Fritz Bleyl, Karl Schmidt-Rottluff und ab 1906 auch Cuno Amiet, Emil Nolde und Max Pechstein.

Der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem natürlichen Werkstoff Holz spürt das Städel Museum in Frankfurt am Main mit der Ausstellung »Geheimnis der Materials« nach. Kein anderes Material ist mit der Kunst des deutschen Expressionismus so untrennbar verbunden: Holz für den Druckstock, Holz als Material für Skulpturen.

Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff reizten das experimentelle Potential des Holzschnittes aus. Sie schätzten den unregelmäßigen Wuchs, den Widerstand und die Härte, die zu großer Formvereinfachung zwingt. In diesem Dialog entstanden die frühen Holzschnitte der »Brücke« und die ersten Holzskulpturen, die formal und inhaltlich in enger Beziehung stehen.

Gezeigt werden 98 Holzschnitte, 12 Skulpturen und 5 Druckstöcke: konservatorisch eine Herausforderung bei diesen sensiblen Materialien. Umfangreiche Leihgaben machen diese Schau besonders: Allein die Anzahl der Holz-Skulpturen darf als Solitär gelten.

Nur was zeichnet jeden Künstler aus, was inspiriert ihn und welche Technik verwendet er, um mit dem Werkstoff Holz zu arbeiten? Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) forderte sich immer wieder neu heraus. Seine Formensprache im Holzschnitt reicht von radikaler Vereinfachung bis zu höchsten Differenzierungen. Gerade bei den Holzschnitten testete er Grenzen und Möglichkeiten der Technik aus. Er arbeitete mit mehreren, teils zersägten Stöcken, variierte die Druckreihenfolge der Farben und kam so zu immer neuen Farbzusammenstellungen. Kirchner trug die Farbe oftmals nicht mit der Walze, sondern mit dem Pinsel auf, dessen eigener Duktus jeden Abzug zum Unikat macht.

Erich Heckel (1883–1970) gilt unter den »Brücke«-Künstlern als der Lyrische, auch Insich-Gekehrte. Im Holzschnitt und der Holzskulptur war er Autodidakt; knapp 15 Jahre arbeitete er in intensiver Auseinandersetzung mit dem natürlichen Material. Er erprobte die Besonderheiten unterschiedlicher Holzarten und die Möglichkeiten ihrer Verarbeitung.

Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976) spürte in seinem Schaffen dem Elementaren und Existenziellen nach. Was er empfunden hatte, versuchte er zu gestalten und ins Allgemeine zu übersetzen. Schmidt-Rottluff arbeitete im Holzschnitt nahezu ausschließlich in Schwarz. Im Vordergrund stand für ihn eine stark vereinfachte Formensprache. Dafür setzt er die Maserung des Holzes gezielt als eigenes Gestaltungsmittel ein. Holzstock, Holzschnitt und Holzskulptur standen inhaltlich wie formal in enger Wechselwirkung.

Wer noch mehr über die »Brücke«-Künstler und die Wechselbeziehungen zwischen Holzschnitt und Holzskulptur erfahren möchte, sollte sich bis 13. Oktober 2019 auf den Weg in die Main-Metropole machen und sich diese herausragende und farbenfrohe Ausstellung ansehen. Die neue Lust am Holzschnitt! Viel Spaß!

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im September 2019