Der gute Mensch von Sezuan in Leipzig: Andreas Dyszewski, Johannes Bennecke und Philipp Pleßmann Foto: Rolf Arnold / Schauspiel Leipzig
Chinatown
Von Daniel Merbitz
Wohnungsnot und Mietwucher sind keine Themen allein von heute, auch in der Parabel »Der gute Mensch von Sezuan« von Bertolt Brecht wird die Suche nach einem Dach für Kopf und Köpfe verhandelt. Dieses, dichte, handlungsreiche Lehrstück, kompliziert anmutend und doch klar und bitter in der Botschaft, wird auf der großen Bühne im Schauspielhaus in Leipzig gezeigt. Die Götter sind auf der Suche nach einem guten Menschen. Ob sie in Sezuan fündig werden? Oder sind die Menschen nur so gut, wie es die Gesellschaft zulässt? Bertolt Brecht hat dieses Stück zwischen 1938 und 1940 geschrieben, es wurde 1943 in Zürich uraufgeführt. Die Unmöglichkeit, unter unmöglichen Verhältnissen menschlich zu sein und doch die Güte der einfachen Menschen erkennend.
Regisseur Moritz Sostmann zeigt in Leipzig eine Neubearbeitung seiner Kölner Inszenierung. Mit einer kräftigen Portion Figurentheater: lebensgroß und sehr menschlich wirkend, die Seele erweckt von Engeln, akkurat und zugleich emotional geführt. Dazu noch kleine, schrille, bunte Puppen, die einem Comic-Heft entsprungen zu sein scheinen. Wir Menschen, unsichtbar geführt von den Fäden der Mächtigen, Marionetten der Reichen, gefangen von unsichtbare Ketten?
Die Puppen von Atif Hussein und Franziska Hartmann geben der Inszenierung eine surreale Note genau wie die Lichtführung von Ralf Riechert, die kühles Mondblau mit Neonrot verschmelzen lässt in ruhigen Szenen.
Das Ensemble, bestehend aus Johannes Benecke, Andreas Dyszewski, Daniela Keckeis, Philipp Pleßmann, Magda Lena Schlott und Brian Völkner, spielt im Team und agiert sehr dynamisch, energiegeladen und zugleich den Punkt treffend.
Die Musik von Paul Dessau gibt ein Zwanzigerjahregefühl, gepaart mit einer Portion New-York-Atmosphäre. Zarte Leitmotive lenken. Vorsichtig dem Zeitgefühl angepasst vom musikalischen Leiter Philipp Pleßmann: aus einem Ghettoblaster schallt Paul Dessaus Musik im Hip-Hop-Sound.
In Kombination mit dem exzellenten Bühnenbild von Christian Beck wird klar: Wir sind nicht in China, wir sind in China-Town, also in einer Diaspora in den Herzen der großen kapitalistischen Metropolen. Die neonrote Leuchtschrift mit chinesischen Schriftzeichen (Übersetzung: »Der gute Mensch von Sezuan«), die Müllcontainer, die gestapelten Kisten, die heraushängenden Teppiche, der Zigarettenautomat.
Auch die Fabrik darf einem bekannt vorkommen, knarzend öffnet sich zu Beginn das Eisentor, dann sind große und kleine Pakete zu sehen, gelb und rot die Schriftzeichen auf den Aufklebern. Ausbeutung ist global und doch so nah.
Eine kluge und kühne Inszenierung, die Magie des Theaters und des großen Dramatikers heraufbeschwörend. Geist, Seele und Aura von Bertolt Brecht sind wieder zu Gast in Leipzig. Der Vorhang zu und keine Frage offen.
Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Dezember 2019