Die Hermannsschlacht

»Die Hermannsschlacht« – auf der Bühne Thomas Braungardt, Markus Lerch, Bettina Schmidt, Dirk Lange und Julian Kluge (von links) Fotos: Rolf Arnold / Schauspiel Leipzig

Die Hermannsschlacht

»Die Hermannsschlacht« – Julian Kluge und Bettina Schmidt

Hermann Trump

Von Daniel Merbitz

Ein kompliziertes Stück mit einer noch komplizierteren Rezeptionsgeschichte: Heinrich von Kleist und seine »Hermannsschlacht«. 1808 geschrieben, 1821 gedruckt, 1860 uraufgeführt, nach der Reichsgründung 1871 rasanter Aufstieg und dann missbraucht im Kriegseintrittsjahr 1914 und in der braunen Terrorzeit 1933 bis 1945 (allein für die Spielzeit 1933/34 sind 146 Aufführungen belegt).

Der Cheruskerfürst Hermann organisiert mit Intrigen, List und Strategie den Widerstand gegen die römische Besatzung. Die Truppen des römischen Feldherrn Varus werden im Teutoburger Wald besiegt und Hermann zum germanischen König erhoben.

In diesem Stück, den Zeitgeist atmend, fand Heinrich von Kleist erstmals seit dem »Zerbrochenen Krug« wieder zu gesellschaftlich relevanter Thematik zurück, ein Text gegen die französischen Besatzer. Zwischen den Zeilen. Er macht sich zum Sprecher der Nation, ruft die Möglichkeit und die Notwendigkeit der Befreiung ins Herz zurück. Gegen die napoleonischen Truppen. Mehr als zwiespältig der Eindruck des Stücks: Hass, Nationalismus, Verletzung ethischer Grundsätze, der Zweck heiligt die Mittel. Der nationale Befreiungskampf gegen Napoleon wurde zur Lebensaufgabe des Dichters.

»Die Hermannsschlacht« heute zu inszenieren erfordert einen klugen Regisseur und eine mutige Intendanz. Beides ist in Leipzig am Schauspiel gegeben. Denn es kann gründlich verwackeln, die Befreiung vom römischen Joch in Germanien auf die Bretter zu bringen. Die dunklen Geister namens Patriotismus, Nationalismus, Faschismus können ein Regieteam gar stolpern lassen. Auch heute skurril anmutende aber damals ernstgemeinte Lesarten erscheinen möglich: Eine Inszenierung am Harzer Bergtheater Thale 1957, unter Anwesenheit des DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, soll auch als Widerstand gegen die USA ausgelegt worden sein: »Die Römer sind die Amerikaner und Aristan ist Adenauer« als Meinungsbeitrag der Schriftstellerin Dora Wentscher im damaligen Programmheft.

Dušan David Pařízek, Regisseur und Bühnenbildner, hat Erfahrung mit schwierigen Stoffen in noch schwierigeren Welten: So brachte er Rainer Werner Fassbinder, Heiner Müller, Werner Schwab, Elfriede Jelinek, Peter Handke und Thomas Bernhard als tschechische Erstaufführungen in unser Nachbarland und hat damit polarisiert. Er studierte Komparatistik und Theaterwissenschaft an der Universität München sowie Schauspiel und Regie an der Akademie für Darstellende Künste in Prag.

In Leipzig, mit der Spielzeit, die den 30. Jahrestag des Mauerfalls begleitet, nun so ein Wagnis? Ausgerechnet auch noch die Premiere am Tag der deutschen Einheit? Es kann als Statement des Intendanten gesehen werden. Spielplangestaltung und Terminierung als Politikum. Enrico Lübbe fordert zur Diskussion heraus. Bravo!

Ein gelungener Beitrag zur Entgiftung und vor allem der notwendigen Entmystifizierung des malträtierten und zu Recht umstrittenen Kleist’schen Befreiungsstückes.

Im blauen Maßanzug, mit weißen Hemd und roter Krawatte erhebt Hermann, Fürst der Cherusker, den Arm wie Donald Trump. Und mit diesen Gesten wird die Deutungsrichtung enthüllt: Gegen die Populisten dieser Welt. Und in der Sprache Kleists, dazu die Melodie der BRD-Hymne, mit dem Banjo gespielt. Bemerkenswert die Bühne, die ebenfalls Dušan David Pařízek verantwortet: ein schräger, heller Kongresshallenboden, ein Schachbrett der Machtstrategie. Schachspiele, Machtspiele, Machtgier. Vertrauen und Misstrauen in den Text. Damit hält der Regisseur wohltuend die Balance. Und der Mächtige schaut weg bei Plünderung und Mord am Volk, der eigenen Machtinteressen wegen. Und der Mächtige schaut weg beim nahenden Ehebruch der Frau. Ja, wegen der so nahen, so neuen Krone.

Bettina Schmidt als Thusnelda im goldenen Abendkleid, eine antike Schönheit mit eigenem Kopf im Ränkespiel: stark und aufwühlend, an die Grenzen gehend, einen Italo-Schlager (»Felicità«) von Al Bano & Romina Power singend, das römische Leben genießend. Dirk Lange als Cheruskerfürst Hermann sprüht vor Eifer und zeigt die bösen Seiten der menschlichen Intelligenz, die Stimmungsmache, den Gestus der Macht. Der Germane Hermann ist ein Bruder im Geiste von Donald Trump. Und dieser Donald Trump ein Wiedergänger der Machtstrategen und Populisten und Egoisten des Weltenlaufes.

Ventidius, der Legat von Rom, ein schlieriger Schürzenjäger wird überzeugend von Thomas Braungardt gespielt. Ihm gelingt die lustvolle Zeichnung eines Widerlings.

Die Varianten der Manipulation von Menschen und die Mechanismen von Kriegspropaganda werden aus dem Stück herausdestilliert. Das seltsame Stück funktioniert in Leipzig. Nach der Schlacht, nach dem Schlussapplaus, gibt es noch einen Epilog, zusammenmontiert aus Textfetzen aus Zeitdokumenten: DDR-Hymne, erste Strophe des Deutschlandliedes, Adolf Hitlers »Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen!«, Björn Höcke, Wilhelm II. (mit dem Aufruf zum 1. Weltkrieg), Hans Baumann (Liedtext), Otto von Bismarck (Proklamation zur Gründung des Kaiserreichs 1871), Adolf Hitler (Mein Kampf).

Hierin liegt auch der einzige, leider sehr dunkle, Schatten über diesen an sich gelungenen wie erhellenden Theaterabend: Johannes R. Bechers Hymnentext in dieser Reihe anzutreffen.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Dezember 2019