Meister und Margarita

»Meister und Margarita« nach dem Roman von Michail Bulgakov. Rechts Dirk Lange als teuflischer Woland Rolf Arnold / Schauspiel Leipzig

Blendwerk

Von Daniel Merbitz

Der Teufel und Professor für Schwarze Magie treibt sein Unwesen in Moskau: Da verunfallt der Chefredakteur einer Literaturzeitschrift mit der Straßenbahn tödlich, ein Lyriker kommt ins Irrenhaus, trifft dort den Meister, der wiederum mit seiner Muse an einem Buch arbeitet, dazu die Rückblenden auf Pontius Pilatus. Die kleine und die große Welt werden durchschritten.

Der großartige Roman von Michail Bulgakow (1891–1940) erlebt auf der Großen Bühne im Schauspielhaus Leipzig derzeit seine Auferstehung. Die Bühnenfassung, nach der neuen Übersetzung von Alexander Nitzberg (nicht die kanonische DDR-Übersetzung von Thomas Reschke), stammt von der Regisseurin Claudia Bauer und – so steht es ausdrücklich im Programmheft – auch von dem Ensemble.

Hilfreich die Vorwarnung: »nach dem Roman von Michail Bulgakow«, denn die Inszenierung verliert sich in addierten Einzelszenen, ein durchdachtes dramaturgisches Konzept ist leider nicht erkennbar. Der Blick auf das große Ganze fehlt, Klamauk statt Tiefe. Effekt statt Nachdenklichkeit. Slapstick statt Humor. Regisseurin Claudia Bauer und ihr Dramaturg Matthias Döpke konnten die 500 Buchseiten zwar auf Zweistundenzwanzig Bühnenzeit eindampfen, aber leider damit auch die großen Fragen. Sie behaupten nur und zeigen nicht: die überdimensionierten technisch hochgezüchteten Pontius-Pilatus-Bühnenszenen sollen Tiefgang suggerieren, ablenken, statt den großen und weiten Kosmos des Romans zu zeigen. Man kann auch tausend Buchseiten zu einem exzellenten Theatererlebnis machen: Dies hat Karl Georg Kayser (Sohn des legendären Leipziger Generalintendanten »K.K.«) vor Jahren in Magdeburg vorbildlich bewiesen mit Thomas Manns »Der Zauberberg«. Und er besorgte auch die legendäre Leipziger Fassung von »Meister und Margarita« im Jahre 1986.

Regisseurin Claudia Bauer kramt alle Werkzeuge aus der Folterkammer des Regietheaters hervor: Wortwiederholungsschleifen, hilflos-schreiendes Deklamieren, Aus-der-Rolle-und-in-die-Realität-fallen, Pseudo-Comedy, geifernde Monologe, E-Gitarren-Dröhnung (im Foyer stehen extra dafür Behälter mit Ohrenstöpsel nebst Warnschildern), minutenlanges und schmerzendes Publikums-Blendlicht, Nebelorgien und verwackelte schier endlose Live-Video-Sequenzen.

Ja, und es gibt sie trotzdem die interessanten Momente: Anspielungen auf Weinstein- und Fox-News-Belästigungen, Lungenkrebs oder Hamlet, Plädoyers für die Macht der Fiktion (»… gottverdammt gute Geschichte …«), Geld zu Konfetti (aus der Kanone), Fashion-Week-Anmutungen, ein rotes »M« auf Schwarz-Weiß-Fotografie (Fritz Lang lässt grüßen), orgiastischer Drogenrausch.

Die schauspielerischen Leistungen des Ensembles überzeugen durchweg – sind eben großartige Schauspielerinnen und Schauspieler, die auch schwierige Inszenierungen zu einem emotionalen Erlebnis machen. Dirk Lange begeistert als teuflischer Woland: böse im Frack, ein heiterer Mephistopheles, der die irdische Lasterwelt nicht ernst nehmen kann. Julia Preuß als Margarita: opferbringend duldsam und ehrgeizig egoistisch in einer Seele. Anna Keil erfreut als bissiger Korowjew, im Roman eigentlich ein Mann, mit gesprungenem Zwicker und karierter Hose, auf der Bühne hier eine Frau im Kleid, also keine »Hosenrolle«.

Wenzel Banneyer spielt akzentuiert und zugleich kraftvoll den moralisch und philosophisch aufgeheizten römischen Statthalter Pontius Pilatus.

Die optische Verlängerung des Zuschauerraums auf die Bühne, mit Wandpaneelen und Goldbeschlägen ist nachvollziehbar und gelungen. Insgesamt wirkt das Bühnenbild von Andreas Auerbach stimmig. Die Kostüme von Vanessa Rust sind eingängig, verständlich, heiter, gut angesiedelt zwischen Moskau und Paris, zwischen langem schwarzen Katerschwanz, Frack und Ost-Kittelschürzenästhetik.

Wenn die Augen sich nach dem langen scharfen Blendlicht und die Gedanken sich nach dem dramaturgischen Blendwerk wieder beruhigt haben, dann kann man zu Hause auch wieder zum Buch greifen. Eines ist dieser Inszenierung ausdrücklich geglückt: Man hat wieder Lust auf den heiter-bösen Kosmos von Michail Bulgakow bekommen.