Enrico Lübbe ist seit der Spielzeit 2013/14 Intendant am Schauspiel Leipzig. Archivfoto: Daniel Merbitz
Nervenstärke und Optimismus
Schauspielintendant Enrico Lübbe im Interview
Wie wirkt sich die Corona-Krise auf das Schauspiel Leipzig aus?
Enrico Lübbe: Es ist ein Zustand, den keiner von uns bislang kannte. Und er erzeugt einen enormen Stress, der uns allen extreme Nervenstärke abverlangt. Die persönliche Nähe, die direkte Kommunikation, das tolle persönliche Miteinander hier am Haus – alles was uns hier seit Jahren so stark macht, ist gerade großflächig angehalten. Aber alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben in dieser Situation ihr Bestes, ob beim Nähen von Schutzkleidung oder beim Maskenverteilen an den LVB-Haltestellen, beim Proben unseres neuen Internet-Projektes »k.« oder beim Umdisponieren ganzer Jahresspielpläne inklusive Gesprächen mit Produktionsteams.
Gegenüber dem Schauspielhaus, auf der anderen Seite des Innenstadtringes, steht ein Betonsegment der Berliner Mauer. Nun sind wieder die Grenzen dicht. Die Theater auch, denn ein Virus betätigt sich als Zensor und streicht den Spielplan zusammen. Wie empfinden Sie die aktuelle Situation als Intendant eines großen Stadttheaters?
Sicher ist die aktuelle Situation eine große Herausforderung und nicht nur ich wüsste gern, welche zeitlichen Perspektiven denkbar und belastbar sind, woraufhin wir planen können. Aber nicht nur für mich ist es ja gerade extrem herausfordernd. Und da beruhigt es mich wiederum, dass ich weiß, was ich für großartige Leute an wichtigen Schlüsselfunktionen hier im Haus hinter mir weiß. Jede und jeder ist nicht nur sehr motiviert, sondern im jeweiligen Fachgebiet eine absolute Koryphäe mit großer Erfahrung, auf die ich absolut vertrauen kann.
Über das Internet abrufbare ältere Inszenierungen dazu live gesendete neue Bühnenstücke – wie wichtig sind die neuen Medien jetzt geworden?
Sie sind momentan der Bereich, in dem wir aufgrund der strengen Auflagen am »hygienischsten« und schnellsten präsent bleiben können. Wir wollen den Kontakt zu unserem Publikum versuchen zu halten. Und viele unserer treuen Besucherinnen und Besucher honorieren das auch.
Bewirkt die Corona-Krise einen langfristigen, künstlerischen und verbreitungstechnischen Digitalisierungsschub am Theater?
Das vermag ich jetzt noch nicht zu sagen. Sicher wird gerade viel ausprobiert und vermutlich werden wir einige digitale Formate, die jetzt gerade entdeckt werden, bald auch auf der Bühne sehen. Ob und wie lange das dann trägt, werden wir sehen. Ich persönlich hoffe, dass es einigen auch wie mir geht und sie sich freuen, auch mal wieder live, »analog« und nicht technisch reproduzierbar Menschen auf der Bühne agieren zu sehen.
Das »analoge« Zusammensein, ein Wesensmerkmal des Theaters, die Gemeinschaft von Schauspieler und Publikum, und das ganze »Drumherum« vom Erfrischungsfoyer über Stück-Einführungen und Nach-Gespräche bis zur Premierenparty – wir vermissen es derzeit sehr. Wird es dafür eine neue Wertschätzung geben?
Das hoffe ich sehr. Ich gehe aber auch davon aus, dass unser Publikum – und es strömte ja die letzten Monate in Scharen zu uns –, uns nicht vergessen hat und sich auf einen Start, wann und wie auch immer, freut.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
So klare, präzise Vorgaben wie möglich, die dann am besten langfristig gelten. Das ist in der jetzigen Situation wahrscheinlich anmaßend, so etwas zu wünschen. Aber langfristige Planungssicherheit würde uns natürlich extrem helfen. Und dann Vertrauen von Seiten der Politik, dass sie unsere wirklich durchdachten und sicheren Pläne mittragen und unterstützen. Wir haben im Team für die nächsten anstehenden Produktionen je spezifische Pläne konzipiert, wie wir unter den Hygienebedingungen bald wieder probieren und spielen könnten. Nun warten wir auf eine Entscheidung, ob wir so an den Start gehen können.
Vielen Dank und bleiben Sie gesund!
Interview: Daniel Merbitz
Das Schauspielhaus im Blick unseres Fotografen Daniel Merbitz