Ostern 1933 forderte der jüdische deutsche Schriftsteller A. Th. Wegner den Reichskanzler Adolf Hitler auf, dem Treiben gegen jüdische Bürger Einhalt zu gebieten. Die Folge war, dass Wegner von der Gestapo verhaftet und schwer misshandelt wurde. Wie sein Biograf Martin Rooney berichtet, führte danach sein Leidensweg durch sieben Gefängnisse und drei Konzentrationslager, die er überlebte.
A. Th. Wegner, geboren am 16. Oktober 1886 in Elbersfeld, hatte 1914 in seiner Dissertation »Der Streik im Strafrecht« Probleme der Gerechtigkeit in einer entwickelten Industriegesellschaft behandelt. Zu Beginn des Weltkrieges als Krankenpfleger ausgebildet, wurde er Teilnehmer der Deutsch-Ottomanischen Sanitätsmission. Im Rang eines Sanitätsleutnants im Stab des Feldmarschalls von der Goltz tätig, überzeugte er sich in Kleinasien von den Massakern an der in der Türkei lebenden 3,6 Millionen umfassenden indoeuropäischen armenischen Sprachgruppe. Was er sah und erlebte, erschütterte ihn zutiefst. Unter dem Vorwand, die Armenier jenseits des Euphrats ansiedeln zu wollen, übte die Türkei eine zügellose Gewaltherrschaft aus. Wer nicht schon zuvor zu Tode gekommen war, war während der Deportationsmärsche gefährdet, durch Hunger, Durst oder Seuchen. Blutig verfolgt, wurden die Armenier fast völIig ausgerottet.
Trotz strengen Verbots begab sich Wegner in die Flüchtlingslager, machte viele Hunderte Fotoaufnahmen vom Genozid, schrieb detailliert auf, wie Armenier regelrecht abgeschlachtet wurden. Seine Bemühungen, die deutsche Öffentlichkeit über den Völkermord des Bündnispartners Türkei zu informieren, bewirkte seine sofortige Entlassung aus der Sanitätsmission und den Diensteinsatz in den Chlorbaracken. »W. ist so zu beschäftigen«, hieß es dazu zynisch in einem offiziellen Eintrag, »daß ihm jede Lust, in Bagdad spazierenzugehen, vergeht.«
Als im Dezember 1916 seine Abberufung erfolgte, gehörte er zu den Schriftstellern, die den »Bund der Aktivisten« gründeten, der sich am 10. November 1918 zum »Rat der geistigen Arbeiter« in Berlin konstituierte. Sein Programm entsprach den in der Revolution erhobenen radikaldemokratischen Forderungen. Im Juni 1919 gründete A. Th. Wegener mit Gleichgesinnten den »Bund der Kriegsdienstgegner«, dessen Geschäftsführung er bis Ende 1922 übernahm. Für den Bund bereiste er zu Vorträgen Deutschland und weitere europäische Länder. Seine antimilitaristischen Forderungen waren gegen Rüstungsfrevel, Kadavergehorsam, Wehrpflicht, Morderziehung und Völkerhetze gerichtet. Zugleich hielt er an seinem Eintreten für die Ächtung der Verbrechen am armenischen Volk fest. Kein deutscher Pazifist engagierte sich so nachhaltig gegen das »organisierte Schweigen über den Völkermord in Armenien«, bekundete R. Giordano. Doch die Welt schwieg. Im Feindbild der faschistischen Nationalsozialisten stehend, wurde A. Th. Wegner als »Kulturbolschewist« und Autor des Berliner Rundfunks immer heftiger angegriffen.
A. Th. Wegner verstarb am 11. Mai 1978 in Rom, hochgeehrt von Armeniern und Israelis, »doch ohne dass die Deutschen auch nur die geringste Notiz genommen hätten«, schrieb M. Rooney. Als 1961 im Weimarer Volksverlag die Publikation »Deutsches SchriftstelIerlexikon. Von den Anfängen bis zur Gegenwart« erschien, blieben A. Th. Wegener und sein reichhaltiges schriftstellerisches Schaffen unerwähnt.
Der Beitrag ist erschienen in LINKS! im Mai 2018.
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