Am 11. November 1898 als Anna Wittenburg in Rixdorf geboren, trat sie 13-jährig der Arbeiterjugend bei. Von Beruf Kontoristin, gehörte sie von 1917 bis 1920 der USPD an, danach der KPD. Anfangs im KPD Unterbezirk Berlin Süd in der Frauenabteilung und im Roten Frauen- und Mädchenbund tätig, war sie danach in der KPD-Bezirksleitung Berlin-Brandenburg eingesetzt.
Im Oktober 1931 übersiedelte sie, von kommunistischen Idealen bewegt, mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern in die Sowjetunion, wo die Familie zunächst in einer landwirtschaftlichen Kommune in Chosta/ Kaukasus und danach seit 1935 in Leningrad lebte. Zuletzt hatte sie als Näherin in einem Kindergarten Arbeit. Die Nazibehörden, die gegen sie ermittelten, hatten ihr 1937 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. In der Sowjetunion war es die Zeit, in der 1937/38 der stalinsche Massenterror die innenpolitische Lage prägte. Entsprechend einer Anweisung Stalins vom 20. Juli 1937 konnten Deutsche auf Verdacht, Spione zu sein, verhaftet, deportiert oder erschossen werden, was auch eingewanderte deutsche Kommunisten einschloss. lm Zuge der »deutschen Operation« kamen 42.000 Menschen ums Leben. Gleiches geschah auch mit anderen nationalen Minderheiten.
Am 5. November 1937 wurden Anna Tieke und ihr ältester Sohn Rudolf, der sich in einer Facharbeiterausbildung befand, vom NKWD verhaftet. Ohne anwaltlichen Beistand wurden sie beschuldigt, von der deutschen Gestapo als Agenten angeworben zu sein, in Leningrad einer faschistisch-terroristischen trotzkistischen Organisation angehört sowie unter Emigranten konterrevolutionäre Propaganda betrieben zu haben. »Ich bin keine Konterrevolutionärin, ich bin eine ehrliche Kommunistin, ich habe niemals etwas zum Schaden der Sowjetunion, ihrer Partei und Regierung getan«, beteuerte sie chancenlos vor ihren »Untersuchungsrichtern«. Das Urteil, das gnadenlos vollstreckt wurde, lautete: »Höchststrafe: Tod durch Erschießen«. Zusammen mit ihrem Sohn Rudolf, 21 Jahre alt, wurde Anna Tieke, 39 Jahre alt, am 15. Januar 1938 in Levasovo bei Leningrad erschossen.
Ihr Ehemann Rudolf, seit 1925 Mitglied der KPD, war bereits am 3. September 1937 vom NKWD verhaftet und, gleichermaßen zu Unrecht beschuldigt, zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt worden, die er bis 1947 im Gulag verbringen mußte. 1949 erneut festgenommen, durfte er erst Mitte 1956 in die DDR ausreisen. Im Juni 1956 wurden Anna Tieke und ihr Sohn Rudolf, Todesopfer der stalinistischen Repression 1937/38, posthum sowie ihr Ehemann Rudolf, der 1989 verstarb, zu Lebzeiten durch die SED »rehabilitiert«.
Siehe Anja Schindler: Unbegründet verhaftet und erschossen. In: Ulla Plener (Hrsg.): Leben mit Hoffnung und Pein. Frauenschicksale unter Stalin. Frankfurt/ Oder 1997.
Der Beitrag ist erschienen in LINKS! im November 2018.
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