Am 24. August 1898 in Berlin geboren, wuchs Erna Lugebiel als Kind einer kaisertreuen, frommen Mutter, die eine Konditorei betrieb, in ihrer Geburtsstadt auf. Sie erlernte das Schneider-Handwerk und heiratete bereits mit 17 Jahren. Die Ehe zerbrach 1935 aus politischen Gründen. Nach der Scheidung trat ihr Mann in die faschistische SA ein.
Erna Lugebiel führte zunächst, wie sie es nannte, einen »privaten Kleinkrieg gegen die Nazis«. Sie kaufte nur noch in jüdischen Geschäften, half politisch verfolgten jüdischen Familien. Als sie dem ersten ihr bekannten Mitbürger mit dem »Judenstern« auf der Strasse begegnete, umarmte sie ihn spontan und weinte heftig. »Direkt in den Widerstand getrieben wurde ich dadurch«, schrieb sie rückbetrachtend, »wie sie die Juden behandelt haben, das hat mich radikal gemacht. Ich habe das aber gar nicht so als Widerstand betrachtet, ich handelte eben nach dem menschlichen Gefühl«. 1942 fand Erna Lugebiel Anschluss an die antifaschistische Widerstandsgruppe »Kampfbund«, der etwa 200 Männer und Frauen angehörten. Sie organisierte vielfältige Hilfe für politisch Verfolgte und Unterstützung für die Familien Inhaftierter und beherbergte selbst die Jüdin Gertrud Rothschild und deren Kind in ihrer Wohnung.
Am 29. Juli 1943 erfolgte ihre Verhaftung durch die Gestapo, die dem »Kampfbund« auf die Spur gekommen war. Nach Festnahme weiterer Mitglieder, fand im August 1944 der Prozess gegen die Gruppe statt, von der im Jahre 1944 über 20 Mitglieder hingerichtet wurden. Sie selbst wurde freigesprochen, aber nicht freigelassen, sondern in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück überführt. Als Stubenälteste im Krankenrevier half sie, so viele Frauen wie möglich vor dem Fallbeil oder der Vergasung zu retten. ie blieb auch an der Seite der kranken Frauen im Lager, als die SS das KZ räumte und die Häftlinge auf den Todesmarsch trieb.
Nachdem die sowjetische Armee das Lager befreit hatte, war sie am Ende ihrer Kräfte und tagelang nahezu besinnungslos. Nach Wochen kehrte sie mit der ersten Frauengruppe nach Berlin zurück. Todkrank überwand sie mit grosser Energie die Lähmungen, die ihren Körper befallen hatten. Erst sieben Jahre nach der Befreiung war sie in der Lage, über ihr Erleben und Handeln im Faschismus zu berichten. Sie übernahm Führungen durch die Gedenkstätte Ravensbrück und sprach vor allem an Schulen über die NS-Diktatur.
Am 17. November 1984 verstarb Erna Lugebiel in Berlin. Sie war eine einfache Frau, deren verinnerlichte Menschlichkeit und das dadurch geprägte Gewissen sie zum Handeln gegen die Unmenschlichkeit der faschistischen Diktatur gezwungen hatte.
Der Beitrag ist erschienen in LINKS! im November 2019.
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