Wer will schon Verlierer sein! Also Sieger? Das Wort »Sieg« geht zurück auf das althochdeutsche »sigu, sigi«, das der indogermanischen Wurzel »segh« entstammt, welche die Bedeutung »festhalten, im Kampf überwältigen, Sieg« besitzt. Also beruht »Sieg« im ursprünglichen Verständnis darauf, dass ihm die Überwältigung eines anderen Menschen im Kampf vorausgegangen ist.
Auch heute noch werden diese Worte primär im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen oder dem Leistungssport gebraucht. Doch seit der Osten Deutschlands Mitglied der internationalen neoliberalen Gesellschaft geworden ist, wird uns die Alternative »Sieger oder Verlierer« auch als wichtigste Zielsetzung im Berufsleben, in der Ausbildung, ja sogar in der Erziehung der Kinder nahegelegt. Unter Jugendlichen hat sich das Wort »Verlierer« oder »Loser« schon als Schimpfwort eingebürgert!
Doch ist es erstrebenswert, jemanden im Berufsleben niederzumachen, ihm zu schaden, um selbst einen Gewinn zu erzielen? Viele würden sich dabei nicht wohl fühlen – ich auch nicht. Also weder Sieger noch Verlierer sein, irgendwie im Mittelfeld dahindümpeln? Das wäre langweilig. Der Mensch möchte schon etwas Wichtiges machen im Leben und auch die Kinder dazu erziehen. Das kann doch nicht nur durch die Alternative »Sieger oder Verlierer« funktionieren! Lassen sich nicht auch im kameradschaftlichen Austausch Ziele erreichen, die der ganzen Gesellschaft nützen? Doch das würde sich gegen das Prinzip der neoliberalen Lebensweise richten. Deshalb ist es nicht leicht, dagegen anzusteuern, doch es ist möglich. Und je mehr es machen, umso besser funktioniert es.
Der Beitrag ist erschienen in LEIPZIGS NEUE, Ausgabe Juli 2015