Die Null regiert

Lehnen wir uns zurück, nippen am Glühwein und lauschen mit roten Bäckchen erwartungsvoll dem Märchenonkel:

Endlich angekommen, jubilierte die schwärzeste aller Nullen und schäubelte sich durchs Hohe Haus, dass es nur so eine Art hatte. Denn der Meister Wolfgang hatte schön gerechnet, gestrichen, unter den Teppich gekehrt, gemauschelt und letztlich den Saldo gezogen. Und der hieß nach Adam Rieses Regeln: Null, Null und noch mal Null.

Da ging ein Geraune und Geknarze durchs ehrwürdige Gebälk und die Kuppel bebte. Hosianna, jauchzte die Kumpanei der Wortgläubigen und ließ den Prinzipal hochleben. In dulce jubilo, sangen sie, der Jahreszeit durchaus angemessen. Hingegen jaulte der elende Rest laut auf und fletschte die Zähne. Drachenbrut eben, das kennt man ja zur Genüge. Null Verständnis für die Schwarze Null heulten sie und rauften sich die garstigen Schuppen.

Da nun rollte der Meister Wolfgang zum Pult und erklärte den tumben Spießgesellen: Null Investitionen in die Infrastruktur. Straßen, Brücken und Schienen bleiben wie sie sind oder gar nicht.

Null Bimbes (Altmeister Helmut K.) für marode Schulen und Lehranstalten. Und wenn sie nicht zusammenfallen, dann stehen sie noch heute.

Nullkommanix für bezahlbaren Wohnraum, weil Wohnen Privatsache ist, da mischt sich der Staat doch nicht ein.

Dreimal Null ist Null, bleibt Null, erinnerte er abschließend an ein altes Karnevalslied aus dem Kölnischen und die treuen Vasallen schunkelten sich in komatöse Trance. Die Drachenbrut aber knirschte mit den roten Beißerchen.

Halt, schrie da die rosafarbene Null mit dem alttestamentarischen Namen. Haltet ein, um der Konzerne Willen, auch ich habe was zum Thema beizutragen. Nämlich Null Respekt vor den Beschlüssen meiner eigenen Partei. Ich werde CETA und TTIP durchboxen auf Teufel komm raus. Was, bitte, kümmert mich mein Geschwätz von vordem. Schließlich bin ich die vorsitzende Null, oder was?

Und jetzt ging's erst richtig los unterm hölzernen Adlergefieder. Null Toleranz für den zotteligen Russenbären, verkündete die Nullsummenchefin und spielte verträumt mit den Zündhölzchen, als wolle sie nur die Kerzen am Adventskranz zum Brennen bringen und nicht gleich die ganze Welt. Gott bewahre, das ist uns Deutschen ja nun wirklich völlig fremd. Näheres zu diesem Thema erklärt uns dann der Onkel Jochen in seiner Weihnachtsansprache. Wir freuen uns schon drauf.

Überhaupt, der Russ, der räudige. Der ist ja nicht mal in der Lage eine anständige Autobahn von Leningrad, pardon, St. Petersburg nach Moskau zu bauen. Und umgekehrt schon gar nicht. Wenn man an die deutschen Autobahnen denkt ... Eine Null ist er, der Wladimir Wladimirowitsch.

Da wollte auch die grüne Null nicht länger Abseits stehen und berief flugs einen bissigen Parteitag ein. Holla, da ging es hoch her. Und auch hin. Es wurde eine rechte Nullenparade. Erst durfte der ratzelnde Gevatter Winfried dem staunenden Volk versichern, dass es dank seiner Politik den Flüchtlingen in Stadt und Land besser geht denn je. Nun freuet euch und seid dankbar, Vertriebene aller Länder! Dann wurden wegweisende Beschlüsse gefaßt. Zum Beispiel ist man gegen Krieg und Waffenhandel. Jedenfalls partiell. Also eigentlich nicht so richtig. Eher vielleicht. Ausnahmen, das ist ja bekannt, bestätigen schließlich die Regel. Die Quadratur des Kreises sozusagen. Auf jeden Fall hat die große grüne Null damit den endgültigen Beweis angetreten, dass die blau-gelbe FDP-Null so was von überflüssig ist, man mochte es vor Jahren noch gar nicht glauben.

Zwei weitere prominente Nullen dürfen nicht unerwähnt bleiben, sonst wäre das Märchen kein solches. Zum einen der Präsident des schon erwähnten Hohen Hauses, ein gewisser Herr Lammert und zum anderen die Lichtgestalt der televisionären Kultur aus dem Hauptstadt-Gasometer, Günther Jauch. Beide hatten sich einen gerontologischen Pflegefall ins Haus geholt, der ihnen die Bude voll krähte. Doch der Anstand verbietet uns, sich auf Kosten Behinderter lustig zu machen. Auch dann nicht, wenn sie Biermann heißen.

Und wenn sie nicht gestorben sind ...

Das nun, lieber Leser, ist das Ende des heutigen Märchens. Bleibt nur noch, Ihnen und Ihren Familien friedvolle Feiertage und ebensolche Erholung zu wünschen, dass Ihnen bei den Nachrichten aus aller Welt nicht die Gänsekeule im Halse stecken bleibt. Machen wir das Beste draus. Und, schlafen Sie gut, auch wenn es manchmal schwer fällt.

Der Beitrag ist erschienen in LEIPZIGS NEUE, Ausgabe Dezember 2014