Statt »Tag der Befreiung«, »Hafengeburtstag« / keine Sozialwohnungen – dafür Büros für eine Werbeagentur / mit 102 Jahren den Doktortitel / keine Polizeikontrolle ohne Verdacht

Jahr für Jahr, so auch 2015, wird am 8. Mai in der Hansestadt nicht der Befreiung vom Faschismus gedacht. An diesen Maitagen findet der Hafengeburtstag statt. Ein touristisches Event, das Tausende anlockt. So wird der Tag der Befreiung verdrängt, dabei gab es in Hamburg ein KZ vor den Toren, in den Vier- und Marschlanden.

Im Mai hat sich der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) wegen fehlenden Grüns in der Regierungserklärung des neuen Senats zu Wort gemeldet. Der Bund mahnt modernes Denken bei der Elbvertiefung an. Mittlerweile erkennen selbst Reeder, dass das Problem der Elbe sich nicht mit beliebigen Schiffsgrößen lösen lässt. Auch macht sich das Rathaus derzeit keine Gedanken über eine Hafenkooperation an der deutschen Nordseeküste. Angeprangert wird vom BUND ebenso der Lärm und die von Schadstoffen belastete Atmosphäre. Hier ist insbesondere der Verkehr in den Straßenschluchten der Stadt verantwortlich. Dabei gibt es ein rechtskräftiges Urteil zur Verbesserung der Luftqualität in Hamburg. Statt es umzusetzen wird in den kommenden zwei Jahren das Gesetz neu geschrieben. So werden Grenzwerte, die seit 2010 gelten, wohl erst 2020 eingehalten.

Rund läuft in der Hansestadt auch nicht der soziale Wohnungsbau. Im Stadtteil Altona hatte die Initiative »Pro Wohnen Ottensen« 8000 Unterschriften für einen Bürgerentscheid gegen ein Bürohaus gesammelt. Auf dem ehemaligen städtischen Grundstück sollten soziale Wohnungen und kein Bürohaus für eine Werbeagentur gebaut werden. Überraschend hat das Bezirksamt Altona dem Bürobau bereits die Genehmigung erteilt. Die SPD-Bezirksamtsleiterin ist davon ausgegangen, dass die Mehrheit im Bauausschuss im Oktober 2014 dafür war. Damit haben die Investoren ein Recht auf Genehmigung, da der Antrag keine Befreiung vom gültigen Baurecht aufweist.

Von Gesetzen des Nationalsozialismus wurde auch das Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) in diesem Jahr eingeholt. Ingeborg Rapoport, geborene Syllm, hat hier 1937 ihr Medizinstudium abgeschlossen und eine Doktorarbeit mit dem Thema Diphtherie eingereicht. Mit dem Verweis auf ihre jüdische Mutter wurde sie zur mündlichen Prüfung nicht zugelassen. Die NS-Gesetze zwangen Ingeborg Rapoport, Deutschland zu verlassen, neue Heimat wurden die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Obwohl sie seit Jahren einen Professorentitel führt, als Kinderärztin ausgezeichnet ist, hat die Ärztin ihre Hamburger Doktorarbeit nie losgelassen. Zwar konnte sie keine Kopie ihrer Arbeit finden, dafür ein Schreiben ihres Doktorvaters Prof. Rudolf Degwitz vom 30. August 1938. Degwitz schreibt: »… dass diese Arbeit von mir als Doktorarbeit angenommen wäre, wenn nicht die geltenden Gesetze wegen der Abstammung des Frl. Syllm die Zulassung zur Promotion unmöglich machten.« Nach 47 Absagen von Universitäten in den USA konnte sie an dem Women`s Medical College promovieren.

An der University of Cincinnati lernte sie Samuel Mitja Rapoport kennen, den sie 1946 heiratet. Da Rapoport als Kommunist Befürchtung vor einer Verfolgung in der McCarthy-Zeit hatte, ging die Familie zurück nach Europa, zuerst nach Österreich. In Wien gab es für sie keine Arbeit, lag wohl daran, dass bis hier der Arm der US-Geheimdienste reichte. Die Rapoports gingen 1952 mit ihren vier Kindern in die DDR. Beide wurden bekannte Ärzte – Samuel Rapoport als Biochemiker, seine Frau als Kinderärztin – und hatten an der Charité in Berlin eine Professur.

2015 bekommt Ingeborg Rapoport auch ihren Hamburger Dr.-Titel, den ihr der Faschismus versagte. Am 9. Juni reist die 102-Jährige von Berlin nach Hamburg, um in einer feierlichen Zeremonie in der Universitätsklinik Eppendorf ihre Urkunde in Empfang zu nehmen. Ingeborg Rapoport ist damit die älteste Neupromovierte der Welt.

Klarheit gibt es auch in der Frage, ob die Hamburger Polizei »Gefahrengebiete« in der Stadt einrichten darf. Am 1. Mai 2011 gab es das erste im Schanzen-Viertel. Im Dezember 2014 kamen weitere auf St. Pauli hinzu. Das erlaubte der Polizei, jeden Bürger in so einem definierten Wohnquartier ohne Verdacht zu kontrollieren, wenn mit schweren Straftaten zu rechnen ist. Nach dem Urteil des Hamburger Oberverwaltungsgerichtes ist das verfassungswidrig und nicht mehr zulässig. Eine Revision wurde nicht zugelassen, die Innenbehörde kann aber gegen die Nichtzulassung innerhalb eines Monats Beschwerde einlegen.

Der Beitrag ist erschienen in LEIPZIGS NEUE, Ausgabe Juni 2015