Viele Tage hat das Jahr

Früher war der Kalender übersichtlicher. Da hat­ten wir Ostern, Pfingsten und Weihnachten. Und wir hatten Geburtstag. Dann war noch der Muttertag; den haben die Blumen­händler erfunden. Der Va­tertag oder Herrentag, der kommt wohl von den Brauereien.

Später, zu DDR-­Zeiten, gab es viel mehr Feier­ und Ehrentage. Vor allem den Frauen­ und den Kindertag. Außerdem musste jede Be­rufsgruppe bedacht wer­den: Tag des Bergmanns, Tag des Stahlarbeiters, Tag des Lehrers, Tag der Volks­polizei, Tag der Volksar­mee, Tag der Mitarbeiter des Handels, Tag der Werk­tätigen der haus­ und kommunalwirtschaftlichen Dienstleistungen. Das war ja auch immer schön für die Betroffenen. Es gab ein Fest, Blumen, Urkunden und vor allem oft auch et­was Abgezähltes auf die Hand.

Unübersichtlich wurde es erst, als der Tag der Reublik abgeschafft worden war. Seit dem haben uns die Gedenk-, Feier-­ und Erinne­rungstage überflutet. Manchmal stehen sie im Kalender, manchmal muss man zum Kreis der Einge­weihten gehören. Vor allem: Es werden immer mehr.

Am 21. 1. ist der Welt­knuddeltag. Bisher wusste ich gar nicht, dass es den gibt, aber nun bin ich verun­sichert. Darf ich oder muss ich? Wenn ich auf die Post gehe z.  B., dort steht immer so eine nette Frau. Da bin ich schon ruhiger am Natio­nalen Tag des Vogels, am 5.  1., oder am Welttag des Schneemanns, am 18. 1. Es gibt zwar den Tag der Blockflöte (10. 1.), aber selt­samerweise noch nicht den Tag der Kesselpauke, wo die doch viel lauter ist. So geht es das ganze Jahr, ohne Ende. Kaum noch ein leeres Plätzchen: Tag der Rücken­gesundheit, Welttag des Senkfußes, Weltkatzentag, Tag des deutschen Butter­brotes (wichtig ist hier: deutsch), Weltlachtag, Welt­linkshändertag, Tag der Freude, Welttag der Berge ­warum nicht auch der Täler?

Ich bin ja ein toleranter Mensch, aber alles hat seine Grenzen. Warum brauchen wir einen Tag der Jogginghose. Das ist am 21. 1. Da haben wir doch schon den Weltknuddeltag. Was hat das miteinander zu tun? Nun bin ich wieder unsicher. Muss ich an die­sem Tag nun die Joggingho­se anziehen oder darf ich es den ganzen Tag? Auch wenn ich für den Abend Theaterkarten habe?

Ich vermisse bei all die­sen neumodischen Ge­denktagen das Ernsthafte, Würdige, Staatsmänni­sche. Auch das war früher besser. Vor langer Zeit hat­ten wir einen Kaiserge­burtstag, am 27. 1. Da wurde in der Schule gefei­ert, die Kinder sagten Gedichte auf, es wurde gesungen und vorgelesen. Das könnten wir doch auch alles wiederhaben. Wir müssten nur einen Tag des Staatspräsidenten aus­rufen, Gauck hat ja ohnehin nur drei Tage vor Kaiser Wilhelm II. Ge­burtstag. Manche sagen sogar, unser Staatspräsi­dent sei eine Art Ersatzkai­ser. Aber dann hält er ja gleich auch wieder eine Rede. Und wir wissen ja schon, was er immer redet.

Der Beitrag ist erschienen in LEIPZIGS NEUE, Ausgabe Januar 2014