Die Wahlurnen sind ausgeschüttet, die Stimmen gezählt. Die ewig lächelnden Kandidaten sind von den Bäumen und den Laternenmasten heruntergestiegen. Die Straßen sind nicht mehr so bunt kostümiert, es kehrt langsam wieder Ordnung ein. Bis zum nächsten Mal im August. Die hektische öffentliche Wahlwerbung ist wie das Treiben während der drei tollen Tage in Köln: Straßenkarneval. Die Wahlkandidaten fahren nicht wie die Kölner Jeckenfröhlich und ausgelassen auf bunten Wagen am Volk vorbei, sondern hängen auf ihren Plakaten entlang der Straßen, manchmal vier übereinander, und suchen die Aufmerksamkeit. Sie streuen nicht Kamelle unters Volk, sondern schriftliche Botschaften von oben herab. Selten originell, meist austauschbar. Im Nachhinein frage ich mich: Welcher Kandidat von welcher Partei hat eigentlich was gesagt? Wozu dann dieser große Aufwand?
Im Vorbeifahren ist es ohnehin schlecht möglich, die Botschaften zu entziffern. Einmal hätte ich beinahe einen Hund überfahren, gerade hatte ich das Schild gelesen »Sauber. Sicher.« Das wünscht sich ein Kandidat für Leipzigs Straßen. Die meisten Texte sind Alltagsware vom Werbebilligmarkt. »Wir schaffen das«, »Ich mach das jetzt«, »Für mein Leipzig«!, »Bürgersinn und Lebensfreude«, »Aus Liebe zu Leipzig«. Gern auch im Straßenräuberjargon: »Kitas her!« »Schulen sanieren«, »Familien stärken«, »Klug wirtschaften«.
Ja, mein Gott, wer möchte das nicht? Es gibt auch zwei Jahrzehnte bewährte Sprüche einer 3%-Partei: »Ärmel hochkrempeln für neue Jobs«. Dabei krempeln wir und krempeln. Und was hilfts? Ein Wähler im Waldstraßenviertel hat wohl trotzdem Hoffnung geschöpft und einen Zettel draufgeklebt: »Helfer für Umzug gesucht.«
Ein Plakat im Maxiformat fällt aus der Reihe, nicht nur wegen der Größe von gefühlt 4 x 3 Meter, sondern auch, weil die junge Frau gar nicht für einen Sitz in Brüsssel kandidiert. Eine dralle »Enddreißigerin«, selig lächelnd. Sie hat entfernte Ähnlichkeit mit der Bundeskanzlerin. Ihre Botschaft: »Gemeinsam erfolgreich in Europa«. Das Foto fälscht die Wirklichkeit. Der Text sagt nicht die Wahrheit.
Der Beitrag ist erschienen in LEIPZIGS NEUE, Ausgabe Juni 2014